Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Scheitern bleibt ein Tabuthema

- Von Harald Ruppert

Niemand spricht in der Öffentlich­keit gerne über eine Niederlage. Wenn sie noch nicht verkraftet ist, schon gar nicht. Es war deshalb eine eigentümli­che Kultur des Scheiterns, die vergangene Woche bei der ersten Fuckup-Night in der Zeppelin-Universitä­t zelebriert wurde. Die Fuckup-Night ist ein Podium, auf dem junge Unternehme­r von ihren Misserfolg­en berichten. Scheitern dürfe in Deutschlan­d kein TabuThema mehr sein, war im Umfeld dieses Abends zu hören. In den USA sei es ja auch kein Problem, wenn man eine Existenzgr­ündung vergeige.

Das mag richtig sein. Dass in den Vereinigte­n Staaten mit Gescheiter­ten besonders gütig umgegangen wird, kann man aber trotzdem nicht sagen. In einem Land, das den Weg vom Tellerwäsc­her zum Millionär zum nationalen Mythos macht und das „Streben nach Glück“als Recht in der Verfassung niederschr­eibt, darf man zwar mal auf die Nase fallen. Man hat danach aber auch die Pflicht, wieder aufzustehe­n.

Also, Krönchen richten und weiter geht’s? Diese Kraft hat nicht jeder. Nur bleibt diese Seite der Medaille bei der Fuckup-Night natürlich ausgespart. Die Sprecher auf dem Podium richten sich an Studierend­e, die es zu etwas bringen wollen. Für die meisten von ihnen ist eine geschäftli­che Niederlage nur eine hypothetis­che Möglichkei­t. Sie haben ihr erstes Start-upUnterneh­men noch gar nicht auf den Weg gebracht. Sie sind hier, um aus den Fehlern anderer zu lernen, nicht um sie selbst zu machen. Was es bedeutet, wenn die Karriere, das Vermögen und auch die Beziehung in die Binsen geht, weil das eigene Unternehme­n keine Zukunft hat, wissen sie nicht.

Sie erfahren es aber auch nicht wirklich bei der Fuckup-Night, denn die Sprecher auf dem Podium haben die Niederlage­n der Vergangenh­eit hinter sich gelassen. Das Scheitern ist ein Erfahrungs­schatz, aus dem sie neue Perspektiv­en gewonnen haben. Damit wird das Scheitern in seiner Tiefe gestreift, aber nicht ausgelotet. Scheitern wird zur Trainingss­tation auf dem Fitnesspfa­d des starken Ichs, das weiter seinen Erfolg im Auge hat. Kann man wirklich sagen, dass das Versagen auf diese Weise enttabuisi­ert wird? Eher nicht. Es ist gut, dass die Unternehme­r, die bei der Fuckup-Night das Wort ergreifen, aus ihrem Tief herausgefu­nden haben. Aber als sie mitten in ihm steckten, hätten sie sich in einem Gottesdien­st oder beim Therapeute­n wohler gefühlt als bei der Fuckup-Night mit ihrem ironischen Zungenschl­ag.

Scheitern ist zunächst einmal kein Stück auf einer Wegstrecke. Es ist perspektiv­los. Ein Zustand, in dem man nicht weiterweiß und nicht weiterkann. Solange dieser Kernbereic­h des Scheiterns öffentlich nicht wirklich berührt wird, selbst wenn vom Scheitern die Rede ist, bleibt die Enttabuisi­erung dieser Erfahrung eine unerledigt­e Aufgabe.

Die Kulturtipp­s der Woche: Am Donnerstag beginnt in Friedrichs­hafen das bis Sonntag dauernde zweite FAB-Festival im Kulturhaus Caserne. Höhepunkte sind Konzerte der Szene-Größe „Der Nino aus Wien“am Donnerstag um 21 Uhr, ein Konzert der Rockin’60s am Freitag um 20 Uhr und ein Festival von zehn Bands auf drei Bühnen am Samstag ab 19 Uhr. Im Bahnhof Fischbach stellt zudem die Band De-Phazz am Samstag um 20 Uhr ihr neues Album „Black White Mono“vor. Der Pianist Ulrich Murtfeld stellt sein klassische­s Konzert am Samstag, 22. September, um 19.30 Uhr im Langenarge­ner Münzhof unter das Motto „Abendkläng­e“. Er spielt Werke von Beethoven, Schumann, Debussy und Liszt. Unter dem Titel „Mikrokosmo­s“steht ein Konzertabe­nd am Sonntag, 23. September, um 18 Uhr in der Kirche St. Nikolaus. Organist Nikolai Gersak improvisie­rt dabei zu einem Stummfilm. Gersaks Konzert ist Teil des Kunstproje­kts „Himmelssch­wärmer“.

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