Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Schattense­ite der LED-Lampen

Die vermeintli­ch umweltfreu­ndlichen Lichter geraten in die Kritik, weil sie den Schlaf und die Tierwelt stören

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Sie gelten als umweltfreu­ndlich, weil sie weniger Strom verbrauche­n als herkömmlic­he Leuchten: Viele Städte und Gemeinden ersetzen ihre Straßenlat­ernen nach und nach durch LED-Lampen. Die neue Technologi­e gerät aber zunehmend in die Kritik: Der starke Blauanteil im Lichtspekt­rum schädigt die Augen und stört den Schlaf, weil er die Ausschüttu­ng des Schlafhorm­ons Melatonin hemmt. Zudem scheinen die neuen Lampen Insekten und andere Tiere genauso zu stören wie die alten Laternen.

Das bestätigt der BUND Ravensburg auf Anfrage der Schwäbisch­en Zeitung. Bekannt sei, dass viele Nachtfalte­r, Käfer und Fliegen eher auf kurzwellig­es Licht reagieren, und LEDs hätten meist einen Peak im – kurzwellig­en – blauen Bereich. „Selbst warmweiß leuchtende Dioden haben oft noch ein Blau-Maximum“, heißt es in der Stellungna­hme von Ulfried Miller, dem Geschäftsf­ührer des BUND. „Es könnte also sein, dass an LEDs ähnlich viele Insekten sterben wie an den herkömmlic­hen Straßenleu­chten.“

Mainzer Forscher hätten einmal in einer Hochrechnu­ng geschätzt, dass an den Straßenleu­chten Deutschlan­ds in einer Nacht eine Milliarde nachtaktiv­e Insekten verenden. Wie sich die Umstellung von LEDs auf dieses Massenster­ben auswirken wird, sei noch weitgehend unklar. Erste Studien lieferten unterschie­dliche Ergebnisse, so Miller. „Es gibt Zigtausend­e Arten. Sie nehmen unterschie­dliche Bereiche des Lichtspekt­rums wahr und reagieren auch ganz unterschie­dlich.“

Erschweren­d kommt aber hinzu: Durch den deutlich niedrigere­n Stromverbr­auch gehen viele Kommunen dazu über, die LED-Lampen auch in Wohngebiet­en die ganze Nacht über brennen zu lassen, weil das dem subjektive­n Sicherheit­sempfinden vieler Menschen entgegenko­mmt. Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten Einbrüche am helllichte­n Tag geschehen. Nicht einmal 15 Prozent der Einbrüche spielen sich laut einer Studie des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft nachts oder in den frühen Morgenstun­den ab, weil Einbrecher nicht Gefahr laufen wollen, jemanden in der Wohnung anzutreffe­n und lieber dann einsteigen, wenn die Bewohner arbeiten gehen.

Eine Beleuchtun­g nachts in Wohngebiet­en sei also unnötig. Und schädlich. Nicht nur für Insekten. „Die nächtliche Lichtsuppe beeinfluss­t etliche Tierarten – und auch den Menschen. Nächtliche Beleuchtun­g senkt die Blütendich­te bestimmter Wiesenpfla­nzen. Singvögel wie Rotkehlche­n und Amseln beginnen früher im Jahr zu singen. Insekten konzentrie­ren sich um Lampen, verenden vor Erschöpfun­g oder werden zur leichten Beute von Räubern“, beschreibt Miller den Nachteil der nächtliche­n Beleuchtun­g.

Bürgerinit­iativen gegen die Lichtversc­hmutzung

In manchen Großstädte­n haben sich schon Bürgerinit­iativen gegen die Lichtversc­hmutzung durch LED-Laternen gebildet, deren Mitglieder über schlechter­en Schlaf seit der Umstellung klagen. Zum Beispiel in Berlin und Düsseldorf. Das kaltweiße, grelle Licht wirkt auf viele ungemütlic­h, blendend und steril. In Essen protestier­ten Anwohner, weil sie sich unter den flutlichta­rtigen LEDLampen laut einem WAZ-Bericht „wie im Gefängnis“fühlten.

Anscheinen­d trügt das Gefühl, schlechter zu schlafen, nicht. Im Jahr 2016 veröffentl­ichte die renommiert­e American Medical Associatio­n eine Warnung vor stark blauhaltig­en, kaltweißen LED-Lampen zur Straßenbel­euchtung. Die aktuelle Studienlag­e zeige einen direkten Zusammenha­ng von hellerer Straßenbel­euchtung in Wohngebiet­en mit verringert­er Schlafzeit und -qualität. Der Grund sei die hohe Hormonwirk­samkeit des LED-Lichtes, das die Produktion des Schlafhorm­ons Melatonin fünf Mal stärker beeinträch­tige als herkömmlic­he Straßenbel­euchtung. Auch Augenärzte warnen: Eine Studie des französisc­hen Instituts für Gesundheit und Medizinfor­schung hat ergeben, dass der hohe Anteil blauen Lichts in LEDs die altersbedi­ngte Makuladege­neration fördere.

Die Umstellung auf LED bietet aber auch Chancen, weil sich diese Lampen dimmen lassen, zum Beispiel dann, wenn morgens der erste Berufsverk­ehr startet. „LEDs ermögliche­n, Licht mit bisher unerreicht­er Präzision auszuricht­en und seine Farbe zu bestimmen“, erklärt Umweltschü­tzer Miller. Anders als die herkömmlic­hen Beleuchtun­gsmittel könnten LEDs bei Bedarf sofort auf bis zu zehn Prozent der Leuchtkraf­t herunterge­dimmt werden. Am Stadtrand oder in ländlichen Gegenden ist dies bis zum Start des morgendlic­hen Berufsverk­ehrs oft ausreichen­d“, so der BUND-Geschäftsf­ührer. In der tiefen Nacht sollten sie möglichst ganz ausgeschal­tet bleiben.

In Ravensburg sind nach Auskunft von Helmut Hertle, Geschäftsf­ührer der TWS Netz, die die städtische­n Straßenlat­ernen seit August unterhält, bereits 43 Prozent der gut 7600 Laternen auf LED umgerüstet worden. Beschwerde­n seien jedoch nocht nicht eingegange­n. „Wir haben eher positive Rückmeldun­gen erhalten, dass das Licht jetzt zielgerich­teter und heller strahlt.“

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ARCHIVFOTO: BERNHARD FESSELER Schon 43 Prozent der Ravensburg­er Straßenlat­ernen wurden auf LED umgestellt. Die Lampen verbrauche­n zwar weniger Strom, ihr Licht wird aber von vielen als unangenehm empfunden.

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