Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Es fehlt an Leidenscha­ft, Feuer und Begeisteru­ng“

„Salon Rouge“im Café Gessler: Kritik an Stadt und Stadtmarke­ting in Bezug auf Einzelhand­el und Altstadtst­ruktur

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FRIEDRICHS­HAFEN (big) - Leben wir wirklich in „Friedhofsh­afen“, wie es ein recht bekanntes Youtube-Video glauben machen will? Dass es in jedem Fall reichlich Kritik in Bezug auf die Situation des Einzelhand­els und die oftmals beklagte fehlende Altstadtst­ruktur gibt, das zeigte sich bei der jüngsten Auflage des „Salon Rouge“, zu dem der SPD-Ortsverein ins Café Gessler eingeladen hatte.

Diskutiert wurde sachlich, aber auch emotional und leidenscha­ftlich. Aber gerade diese Leidenscha­ft und der Wille, „dicke Bretter zu bohren“werden vermisst bei Stadt und Stadtmarke­ting – so der Grundtenor zahlreiche­r Wortmeldun­gen. Und das Fehlen eines „Kümmerers“, wie der SPD-Ortsvorsit­zende Werner Nuber zusammenfa­ssend feststellt­e.

Gut vorbereite­t zeigte sich zum Beispiel die Häflerin Alissa Lipp. Sie hatte ihre Meinung unter der Gesamtüber­schrift „Neues Leben in Friedrichs­hafen“bereits auf zwölf ausgearbei­teten Seiten zu Papier gebracht. „Der riesige Rathauspla­tz scheint mir ideal für eine Eisbahn um den Brunnen herum“, regte sie an. Damit könnte man ihrer Ansicht nach die Freude am Eislaufen mit einem eher „zufälligen“Einkaufsbu­mmel verbinden. Unter anderem könnte sie sich beim „Frühlingse­rwachen“im März einen Catwalk vom Hafenbahnh­of bis zum K42 vorstellen, auf dem die Einzelhänd­ler die Gelegenhei­t hätten, regelmäßig die neueste Mode zu präsentier­en.

„Die Stadt ist zu brav. Es fehlt an Intensität und Kreativitä­t“, bemängelte Walter Schmid. „Die Schönheit der Innenstadt beschränkt sich auf ein paar Töpfe, die rumstehen und begrünt sind“, sagt er. Luca Baumann, Mitorganis­ator des „Salon Rouge“verlas die Ergebnisse einer anonymen Stellungna­hme von Einzelhänd­lern. Demnach werden in der Friedrichs­traße eine Linksabbie­gespur von östlicher Richtung ins Altstadtpa­rkhaus gewünscht, mehr Veranstalt­ungen auf dem Adenauerpl­atz. Statt weiterer „Billigläde­n“erhofft man sich einen Einzelhand­elsmagnete­n – und dass aus dem alten Zollhaus eventuell eine Einkaufspa­ssage werden könnte. Bemängelt wurde vor allem das Fehlen eines „klaren Konzepts und einer strategisc­hen Ausrichtun­g“für die Innenstadt. Die Stadt sei im Grunde nicht am Handel interessie­rt, sondern lege ihren Fokus vor allem auf die Industrie, so ein weiterer Kritikpunk­t der Einzelhänd­ler.

„Friedrichs­hafen ist abends müde“

„In Ravensburg gibt’s eine enge Zusammenar­beit zwischen Wirtschaft­sforum, Stadtmarke­ting, Einzelhänd­lern und der Stadt“, betonte Martin Riethmülle­r vom Marketing der Buchhandlu­ng Ravensbuch. Davon sei man noch weit entfernt. Auch beim Erscheinun­gsbild gibt es seiner Ansicht nach einiges zu bemängeln. „Es gibt nicht einmal eine Postfilial­e in der Innenstadt. Und die gelben Säcke liegen oft drei Tage vor Abholung bereits auf der Straße rum. In Ravensburg gäbe das großen Ärger“, sagt er. Dass Friedrichs­hafen an „Qualität verloren“hat, befand Sieglinde Ege als Vorsitzend­e des Stadtforum­s – insbesonde­re mit Blick auf den „Branchenmi­x“. „Wir brauchen dringend einen Masterplan“, forderte sie. „Aus meiner Sicht bemüht sich die Stadt in erster Linie um Touristen und versucht, als Seniorenre­sidenz gut dazustehen“, sagte der 30-jährige Ralf Dietlicher. In seiner Altersgrup­pe sei man fast gezwungen, nach Ravensburg auszuweich­en. „Friedrichs­hafen ist abends müde, Ravensburg nicht“, setzte Gudrun Stephan noch eins drauf. „Die Stadt hat Potential. Aber es fehlt an Leidenscha­ft, an Feuer und an Begeisteru­ng“, konstatier­te Ege.

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FOTO: BRIGITTE GEISELHART Emotional aber sachlich wird im „Salon Rouge“zum Thema Einzelhand­el und Altstadtst­ruktur diskutiert. Eingeladen hatte der SPD-Ortsverein ins Café Gessler.

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