Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
St. Jodok: Angeklagter mit zwei Gesichtern
Zeugen beschreiben den Ravensburger Brandstifter als nett und höflich – wenn er nichts getrunken hat
RAVENSBURG - Extrem widersprüchlich – so haben Zeugen den Charakter des Angeklagten im Prozess um die Kirchenbrände von Ravensburg und Schlier beschrieben. Offenbar mutiert der Mann besonders dann zu einem extrem aggressiven Menschen, wenn er Alkohol getrunken hat. Am dritten Prozesstag vor dem Landgericht Ravensburg sagten unter anderem seine ExFreundin, sein ehemaliger Nachbar sowie der Diakon von Sankt Jodok und dessen Frau aus.
Fast eine Stunde lang wurde die 53-jährige Ex-Freundin des 40-jährigen Brandstifters, deren Bild der Mann in Sankt Jodok verbrannt und dann achtlos auf die Couch geworfen haben will, als Zeugin vernommen. Der Angeklagte hatte schon zu Beginn des Prozesses ausgesagt, dass er aus Liebeskummer die Beziehung zu der Frau symbolisch beenden wollte, indem er ihr Foto anzündete. Dass dadurch ein Großbrand entstehen könnte, will er nicht geahnt haben.
Sichtlich mitgenommen – teils unterbrochen von Schluchzen und Schneuzen – schildert die Geschäftsfrau die Beziehung zum Angeklagten, der sie Mitte 2016 über Facebook angeschrieben habe. Man habe sich einige Male getroffen und dann eine Beziehung begonnen. Zu dem Zeitpunkt der etwa einjährigen Affäre war sie noch mit ihrem damaligen Lebensgefährten zusammen, diese Partnerschaft sei aber bereits nicht mehr in Ordnung gewesen.
„Er war ein ganz lieber, netter, freundlicher Mensch“, beschreibt sie den jüngeren Mann, mit dem sie sich meist in dessen Wohnung getroffen hat. Von Alkoholexzessen sei am Anfang keine Rede gewesen. „Die Wohnung war sehr ordentlich, sehr sauber, tipptopp, alles aufgeräumt, die Wäsche frisch gewaschen, man hätte vom Boden essen können.“Oft habe der Geliebte auch für sie gekocht, den Tisch schön gedeckt. Allerdings habe der Mann von Anfang an Geldprobleme gehabt und sie immer wieder um Geld gebeten. Innerhalb eines Jahres sollen so 30 000 Euro an Geschenken zusammengekommen sein.
Sie habe das Geld zwar nie zurückhaben wollen, irgendwann sei ihr die ewige Bettelei aber gegen den Strich gegangen. Zudem trank er immer öfter und war dann aggressiv. Als sie sich von ihm lösen wollte und den Kontakt abbrach, begann das Stalking.
So drohte er ihr, ihre Tochter an der Schule abzupassen und ihr von der Affäre zu erzählen, erinnert sich die Frau. Zudem rief er immer wieder bei ihr zu Hause oder im Betrieb an, schickte SMS und Sprachnachrichten und kontaktierte den damaligen Lebensgefährten und sogar die Eltern der Frau. Auch ein durch einen Anwalt verlangtes Kontaktverbot ignorierte er. Wie bei der Verhandlung herauskam, schreibt der Angeklagte der Ex-Freundin selbst aus der Untersuchungshaft noch regelmäßig Briefe und sogar Postkarten an ihren Arbeitsplatz. „Die Postkarten sind ganz besonders toll, weil sie jeder lesen kann“, sagte die Frau vor Gericht. Trotz des besitzergreifenden Verhaltens hätte sie es aber nie für möglich gehalten, dass ihr ExFreund eine Kirche anzünden würde. „Wir sind oft in der Kirche gewesen, und er hat dort Kerzen angezündet. Meines Erachtens ist er ein sehr gläubiger Mensch.“Der Angeklagte ergriff nach ihrer Aussage das Wort und entschuldigte sich für die „Anruferei und die SMS“. „Das hat alles kaputtgemacht. Es tut mir leid.“
Ein negativeres Bild zeichnete der ehemalige Nachbar, ein 75-jähriger Rentner. Er verdächtigte den Angeklagten, bei ihm eingebrochen zu haben, das Verhältnis war schlecht. Er und seine Frau hatten sogar Angst vor ihm, weil er einmal gesagt habe: „Deine Bude zünd’ ich schon noch an, dass du krepierst darin in deiner Hütte.“
Als Zeugen vernommen wurden auch der Diakon von Sankt Jodok und dessen Frau, die den Angeklagten am Mittwoch nach dem Brand beim „Einfach essen“im Gemeindehaus getroffen hatten. Auch dort sei er „höflich und nett gewesen“, zudem sei er sehr gepflegt aufgetreten, mit Anzugjacke und Hemd, also ungewöhnlich für das eher bedürftige Publikum, das dort einmal wöchentlich für wenig Geld zu Mittag isst. Er soll sich aber darüber ereifert haben, wie jemand die schöne Kirche habe anzünden können und dass der Brandstifter drakonisch bestraft werden sollte. Als habe er selbst verdrängt, dass er dieser Täter ist.
Mit einem Urteil ist frühestens nächste Woche zu rechnen.