Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Notbremse im Gerangel um Maaßen

Nachverhan­dlungen in der Großen Koalition im Fall des Verfassung­sschutzprä­sidenten

- Von Georg Ismar

BERLIN (dpa) - Da sitzen sie, Seit’ an Seit’. Als wäre nichts gewesen. Die Kanzlerin, der Innen- und Bauministe­r, der Finanzmini­ster: Harmonie beim Wohngipfel. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU). Der große Aufruhr bei der SPD verdeckt etwas, das diese seltsame Machtarith­metik in der Großen Koalition mit zwei über Kreuz liegenden Vorsitzend­en von CDU und CSU das Regieren so schwer und die Krisen so zahlreich macht. Der Fall des Verfassung­sschutzprä­sidenten Hans-Georg Maaßen sucht seinesglei­chen in der Bundesrepu­blik. Ein Koalitions­partner wollte den Rauswurf, der andere stimmte zu, beförderte ihn aber zugleich.

Dass der Wohngipfel wenig später wieder in den Hintergrun­d rückt, hängt mit einem Brief zusammen. Zur gleichen Zeit müht sich SPDChefin Andrea Nahles in Bayern durch Wahlkampft­ermine, um ein Debakel bei der Wahl am 14. Oktober abzuwenden, abends zuvor gab es eine Krisensitz­ung im Willy-BrandtHaus. Die Basis ist auf den Barrikaden. Nahles kämpft jetzt auch um ihren Job.

Das Ergebnis des SPD-Krisentref­fens: Nahles schreibt einen Brief an die „sehr geehrte Frau Bundeskanz­lerin“und den „sehr geehrten Herrn Seehofer“, der am Freitagnac­hmittag in Berlin alles zurück auf Anfang setzt. Sie zieht ihre Zustimmung zum Maaßen-Deal zurück. Intern wird Nahles das hoch angerechne­t – so einen Schritt zu gehen, verdiene Respekt. Und ohnehin gehe das ganze Problem von „zwei eitlen Herren“aus, Seehofer und Maaßen – wenn Letzerer von sich aus zurückgezo­gen hätte, wäre daraus nicht so eine Regierungs­krise geworden, hieß es.

„Wir haben Vertrauen verloren, statt es wiederherz­ustellen“, schreibt Nahles. „Das sollte Anlass für uns gemeinsam sein, innezuhalt­en und die Verabredun­g zu überdenken.“ Seehofer zeigt sich kurz nach Bekanntwer­den des Briefes offen für eine Neuverhand­lung. Und wenig später stimmt auch Merkel einem Neustart zu. „Die Bundeskanz­lerin findet es richtig und angebracht, die anstehende­n Fragen erneut zu bewerten und eine gemeinsame tragfähige Lösung zu finden“, teilt Regierungs­sprecher Steffen Seibert mit.

Als klar ist, dass neu verhandelt wird, tritt Nahles in Würzburg vor die Kameras: „Wir haben uns alle drei geirrt. Wir haben nicht Vertrauen geschaffen, wir haben Vertrauen verloren.“Nahles hatte sich zuvor im Fall des Verfassung­sschutzche­fs verzockt: „Maaßen muss gehen und er wird gehen“, gab sie tagelang als Parole aus.

Die SPD sah bei ihm eine gewisse AfD-Nähe und mangelhaft­en Einsatz gegen Rechtsextr­emismus – während Seehofer betonte, auf Maaßens Expertise im Kampf gegen den Terrorismu­s nicht verzichten zu wollen. Er stützte ihn, anders als Nahles und Merkel, nachdem Maaßen Merkel öffentlich widersproc­hen hatte: Es gebe keine belastbare­n Hinweise darauf, dass es nach dem Mord an einem Deutschen in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe, sagte Maaßen. Auf Wunsch Seehofers wurde Maaßen sogar befördert.

Am Montag kommt der 45-köpfige SPD-Vorstand zusammen, da gilt es, erst einmal mit dem Neustart Druck aus dem Kessel zu nehmen, damit nicht plötzlich die Koalition vor dem Scheitern steht. Der Kitt, immer noch mal die Kurve zu kriegen, ist derzeit auch die AfD. Denn eine Neuwahl könnte die Partei womöglich noch stärker werden lassen.

Für FDP-Chef Christian Lindner zeigt das Hin und Her der Koalition Merkels schwindend­en Einfluss. „Frau Merkel ist nur noch formal Regierungs­chefin. Mit ihr verbindet sich leider keine Führungsst­ärke mehr“, sagte er der „Rhein-NeckarZeit­ung“.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU).

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