Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der langsamste Schmäh von Wien
Der Nino aus Wien gibt das Eröffnungskonzert des FAB-Festivals im Kulturhaus Caserne
FRIEDRICHSHAFEN - Er hat den langsamsten Schmäh von ganz Wien, singt seine Lieder mit einem verträumt-süffisanten Lächeln und klingt dabei manchmal ein wenig betrunken: Der Nino aus Wien ist eine Inkarnation der Bohème, und er lässt sie auch gleich in einem seiner ersten Lieder hochleben. „Dieses Lied ist allen betrunkenen, unbekannten Kaffeehausdichtern von Wien gewidmet“, nuschelt er nachlässig. Und dann schrammelt er, ganz allein da oben auf der Bühne, und singt Texte über Menschen, die sich ihren Schnaps schenken lassen müssen, weil das Trinken Teil ihrer künstlerischen Arbeit ist, mit der sie kein Geld verdienen.
Der Nino aus Wien macht Lieder, die man außer in Wien vielleicht nur in den Künstlervierteln von Paris so ganz versteht; also in Städten, wo als Künstler immer noch Existenzen gelten, die im Elend hausen und von der Schwindsucht dahingerafft werden, wie vor über 100 Jahren. Die Hälfte von Ninos Künstlertum ist ein Künstlermythos, aber diesen hat er mit seinen erst 31 Jahren wirklich verinnerlicht. Wem der Bussi-Rock von Wanda zu grobschlächtig ist, der muss zum Nino aus Wien.
Vielleicht ist es ganz gut, dass in seinem Konzert, mit dem das zweite FAB-Festival im Kulturhaus Caserne beginnt, nur knapp 60 Leute sitzen. In Österreich ist der Nino zwar ein Star, aber die Stimmung seiner Musik verträgt eigentlich kein großes Publikum. Dazu sind seine Lieder zu zerbrechlich, gerade wenn es um die Liebe geht: „Sie sitzen zamm’ im Donau-Park, ob er den ersten Kuss wohl wagt? Sie schaut zu ihm, er fühlt sich arg – zittriges Gebein.“So übersetzt der Nino Bob Dylans Song „Simple twist of fate“, und von Dylan hat er noch etwas anderes übernommen: das Prinzip des endlosen Liedes. Es kennt keine Unterscheidung zwischen Strophe und Refrain, kann schon mal zehn Minten dauern, und wenn es dann endet, bleibt der Geist, mit dem der Nino es rüberbrachte: Wenn der Dichter seine Welt nicht singt, dann gibt es sie nicht. Deshalb ist das Ende eines Liedes auch immer eine kleine Beerdigung.
Aber es kommt ja stets ein neues Lied. „Berlin, du kalter Tanz im Frühlingsglanz“, singt Nino und erinnert an Leonard Cohen, seiner schwerblütigen Sprachbilder wegen, an denen er manchmal noch feilen dürfte. Aber das allzu Ausgefeilte ist seine Sache nicht, wohl mit gutem Grund: Wenn an der Kunst zu sehr gearbeitet wird, ist sie nur noch kühle Profession und es verschwindet ihre Verbindung zum Leben. Dass zwischen Kunst und Leben kein Unterschied bestehe, ist aber das Glaubensbekenntnis der Bohème.
Deren Künstlertypen sind immer malad und vom Untergang bedroht, aber es ist ein permanenter Untergang, der zu ihrer Lebensform gehört und der sie auch trägt. Man merkt das auch dem Nino an. Wenn er unendlich müde klingt, wenn er die Waffen streckt, dann klingt er deshalb auch tröstlich: „Geh weit hinaus, um dich gut selbst zu spielen; oder bleib zuhaus’ und leg dich hin“, singt er matt in einem seiner schönsten Lieder, „Winter im April“. Immer wieder ist das Wort „Depression“Teil seiner Texte, aber offenbar weiß er auch, wie man sie verwandelt.
Zum Beispiel mit einem reinen Quatschlied, zu dem der Nino seinen einzigen Gast mit auf die Bühne bringt: Natalie Ofenböck. „Ich geh jeden Tag in den Prater. Und du gehst jeden Tag zum Psychiater“, singt sie so dahin - „trotzdem können wir Freunde sein. Heute bleibt keiner allein“. Das reimt sich, und was sich reimt ist gut. Das hat kein Dichter gesagt, sondern der Pumuckl. Auch von seiner Unbeschwertheit hat der Nino was.