Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Gründlichkeit gehört zum Leben“
42-Jähriger hat einen der schönsten Schrebergärten zwischen Friedrichshafen und Eriskirch
FRIEDRICHSHAFEN - Der Schrebergarten ist eine urdeutsche Angelegenheit. In einem Buch über die hiesige Leitkultur müsste er Erwähnung finden. Idris Sarigül weckt Zweifel an diesem engen Konzept. Er ist Türke und hat den wohl schönsten Schrebergarten entlang der Bahnstrecke zwischen Friedrichshafen und Eriskirch. „Viele Leute fahren mit dem Rad vorbei und grüßen“, sagt der 42-Jährige. Kaum spricht er es aus, grüßt schon wieder jemand. Idris lächelt und winkt zurück. „Der Garten kriegt ziemlich viele Komplimente“, sagt er. Inzwischen grüßt sogar ein Fahrgast aus dem Zug.
Sieben Jahre lang standen Idris Sarigül und seine Frau bei der Bundesbahn auf der Warteliste für ein Schrebergartengrundstück. Im November 2017 hat es dann endlich geklappt. Für die rund 350 Quadratmeter zahlt er etwa 130 Euro im Jahr. Das ist nicht viel Geld, aber geschenkt kriegt er trotzdem nichts. Idris Sarigül hat in den herabgewirtschafteten Garten nämlich eine Menge Arbeit gesteckt. Er hat das abschüssige Grundstück aufgeschüttet, hat gründlich wie ein gelernter Maurer Randsteine gesetzt und Bodenplatten verlegt, mit eigenen Händen einen zweieinhalb Meter tiefen Brunnen gegraben – der derzeit allerdings ausgetrocknet ist. Vielleicht, befürchtet er, habe er die falsche Stelle dafür gewählt. Aber mit einem Wünschelrutengänger übers Grundstück zu gehen und eine Wasserader zu suchen, wie ihm geraten wurde, da war er dann doch skeptisch.
„Man muss gründlich sein“
„Man muss gründlich sein. Das gehört zum Leben dazu“, sagt Idris und schaut auf die schnurgeraden Beete, in denen Tomaten und Paprika wachsen. „Ich bin ein sehr pingeliger Mensch. Bei mir muss einfach alles perfekt sein“, fährt er fort und seine Stimme klingt, als mache er sich über sich selbst lustig. Seine Frau meint manchmal schon, Idris könne auch mal Fünfe gerade sein lassen. „Aber das muss schon alles sitzen“. Kein Wunder, denn in seinem Beruf kommt es auf Hundertstel Millimeter an: er ist Zerspanungsmechaniker bei ZF.
Wer bei Idris am Zaun steht und seinen Garten bewundert, findet sich schnell bei einem Glas Tee vor seiner neuen Gartenhütte wieder. Hier geht der Blick auf Geranien, Lavendel und Fuchsien, auch Gladiolen gibt es – und wenn noch einige Zeit ins Land geht, wird bald auch der Rosenbogen gänzlich überwachsen sein. Wieso hat er sich eigentlich plötzlich für einen Schrebergarten interessiert, nachdem er doch zuvor nie gegärtnert hat? „Weil ich Familienvater bin“, sagt der Vater dreier Kinder. Die Häfler Wohnung der Familie hat weder Garten noch Balkon; da ist der Schrebergarten der nötige Ersatz für die Kinder. Auf die Idee, sich hier einen zweiten Wohnsitz einzurichten, mit Übernachtungsmöglichkeit, und damit gegen alle Schrebergartenregeln zu verstoßen, käme er nicht. „Man muss sich an die Regeln halten. Es ist gut, dass es sie gibt“, ist er überzeugt Auch an die ungeschriebenen Regeln der Gastfreundschaft hält er sich – wohl mehr als mancher Schrebergärtner mit deutschem Pass. Deshalb gilt: „Wenn wir grillen und ein Kind steht am Zaun, dann reichen wir etwas rüber. Das ist doch gar ein Problem.“
Idris Sarigül ist in Wangen geboren und aufgewachsen. „In Wangen bleibt man hangen“, sagt er und lacht – weil er seit acht Jahren in Friedrichshafen lebt. Kann man ihn, den „Geburts-Allgäuer“, allen Ernstes als Beispiel für gelungene Integration anführen, nur weil seine Eltern aus der Türkei stammen? Man könnte schon, weil es ja auch in Deutschland geborene Gastarbeiterkinder gibt, die sich diesem Land nicht zugehörig fühlen. Idris jedenfalls hatte von Kindheit an auch deutsche Freunde. Aber er erinnert sich an einen Satz, den damals der Vater eines solchen deutschen Freundes zu seinem Sohn sagte: „Idris reicht dir doch. Du musst nicht noch so viele andere ausländische Freunde haben.“Er habe damals gelacht, sagt Idris. Aber komisch war es doch.
Kann man Heimatverbundenheit messen? Im Fall von Idris Sarigül sogar in Euro. In diesem Sommer hat er nämlich Urlaub in der Türkei gemacht. „Und da hatte ich eine Dulle im Auto. Die Werkstatt wollte für eine Reparatur 80 Euro. Aber ich zahle lieber in Deutschland 500 Euro, als das in der Türkei für 80 machen zu lassen.“Als er das, wieder zu Hause, einem Bekannten erzählte, sagte der nur: „Idris, du bist blöd!“. Da muss er wieder lachen.