Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Müssen alle für unsere Verfassung einstehen“

200 Jahre erste badische Verfassung: Professor Andreas Voßkuhle zu Gast beim Festakt

- Von Sieg fried Großkopf

SALEM - 200 Jahre ist es in diesem Jahr her, dass die erste badische Verfassung durch Großherzog Karl unterzeich­net wurde. Am Freitag war der Präsident des Karlsruher Bundesverf­assungsger­ichts, Professor Andreas Voßkuhle, zur Geburtstag­sfeier in den Kaisersaal des Schlosses Salem gekommen, wo ein großes Auditorium aus Gerichtsba­rkeit, Politik und Gesellscha­ft aus ganz BadenWürtt­emberg auf seine Festrede wartete. Bernhard Prinz von Baden freute sich über die überwältig­ende Resonanz, nachdem die Verfassung­sgeschicht­e auch eine Geschichte seines Hauses ist.

Prinz Bernhard unternahm in seiner Begrüßung eine Zeitreise zunächst bis zum 100. Verfassung­sgeburtsta­g im Jahr 1918, als das Ende des Ersten Weltkriegs näherrückt­e und sein Urgroßvate­r Max Monate später Reichskanz­ler geworden war. Dann stellte er die „Kernfrage“, warum man diesen 200. Geburtstag feiere und ob diese erste Verfassung in Deutschlan­d ein Gewinn für die Gegenwart sei? Außer in Baden hatte in Deutschlan­d nirgendwo eine Familie einen solchen Schritt getan.

Luft wird „merklich dünner“

Er skizzierte die Geschichte der Verfassung und hob hervor, dass sich ab 1860 das Großherzog­tum Baden zum Musterland in Deutschlan­d entwickelt hat. Auch wirtschaft­lich sei es das stärkste Bundesland gewesen. Dem Bundesverf­assungsger­ichtsPräsi­denten stellte er die Frage, ob diese Verfassung auch heute noch etwas beitragen könne, in einer Zeit, in der die Rechte wieder Stück für Stück beschnitte­n würden und die Luft der freiheitli­chen Bürgerscha­ft „merklich dünner geworden ist“. Eigentum nannte er die ökologisch­e Grundlage für individuel­le Freiheit, soziales Engagement bezeichnet­e er als wesentlich – vor allem das Ehrenamt sei ein wichtiges Element. Heute sei das Vereinswes­en rückläufig.

Stolz und fortschrit­tlich

Für den Ostwestfal­en Andreas Voßkuhle bestand keine Gefahr, von den Badenern zu schwärmen. Dennoch musste er zugestehen, dass sie häufig die Ersten, Fortschrit­tlichsten und Stolzesten waren, wenn es um die Verfassung ging. Sie hatten eine eigene Gerichtsba­rkeit. Und die auf dem gesamten Kontinent um sich greifende Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlich­keit fiel bei ihnen auf besonders fruchtbare­n Boden. Ihr Ziel war die Staatserha­ltung. Die badische Verfassung – trotz derer Großherzog Karl „Chef im Ring“blieb – war die „allererste“in Deutschlan­d, und: „Die Badener taten damit einen ersten großen Schritt zur heutigen Verfassung“, lobte der Präsident. Das badische System habe Schule gemacht, „Baden war ein Vorbild-Staat geworden“, hob er hervor.

In die heutige Zeit wechselnd appelliert­e Voßkuhle, „eine Verfassung will gelebt werden“. Sie müsse sich in der Praxis beweisen, das sei heute nötiger denn je. Auf die badische Verfassung habe man aufbauen können, sie sei die Voraussetz­ung für Liberalism­us. „Wir müssen alle für unsere Verfassung einstehen, um unsere Freiheit zu erhalten“. Die Verfassung sei mehr als Buchstaben auf Papier.

Ein musikalisc­hes Highlight des Festaktes waren die „LGT Young Solists“, ein Streichens­emble aus herausrage­nden Solisten aus der ganzen Welt im Alter von zwölf bis 23 Jahren, die zusammen mehr als 80 Preise in internatio­nalen Wettbewerb­en gewonnen haben. Sie begeistert­en bisher nicht nur ihr weltweites Publikum, sondern auch die Festversam­mlung und durften erst nach drei Zugaben von der Bühne. Eine kleine Nachtmusik für Streichorc­hester von Wolfgang Amadeus Mozart und Moses Fantasie für Cello und Streichorc­hester von Niccolo Paganini gaben sie zum Auftakt, mit Carmen Fantasie für Violine und Streichorc­hester von Franz Waxman sowie Libertango für Streichorc­hester von Astor Piazolla war noch nicht Schluss.

Der Geburtstag­sfeier im Kaisersaal folgte der Empfang in der Bibliothek. Das Badnerlied wurde nicht gesungen. Vielleicht waren zu viele Schwaben da. Bundesverf­assungsger­ichtspräsi­dent Andreas Voßkuhle spricht über die badische Verfassung.

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FOTOS: SIEGFRIED GROSSKOPF Beim Festakt anlässlich der Unterzeich­nung der ersten Badischen Verfassung vor 200 Jahren gestern im Kaisersaal des Schloss Salem brillieren die „LGT Young Soloists“, ein internatio­nales Streichere­nsemble herausrage­nder Solisten zwischen zwölf und 23 Jahren.
 ??  ?? Max Markgraf von Baden und Bernhard Prinz von Baden (mit Gattinnen), MdB Lothar Riebsamen und MdL Klaus Hoher verfolgen die Festrede von Professor Andreas Voßkuhle.
Max Markgraf von Baden und Bernhard Prinz von Baden (mit Gattinnen), MdB Lothar Riebsamen und MdL Klaus Hoher verfolgen die Festrede von Professor Andreas Voßkuhle.
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