Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein unbelehrba­rer Kriegsverb­recher

Olivier Guez stellt Roman im Kiesel vor

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FRIEDRICHS­HAFEN (hv) - Mit Olivier Guez‘ Roman „Das Verschwind­en des Josef Mengele“hat die erste Autorenles­ung der Herbstsais­on im Kiesel ein Werk vorgestell­t, das als Roman firmiert, doch eigentlich eine dokumentar­ische Form anzielt. Guez geht es um den Versuch der Erklärung, wie ein Mensch zu dem Unmenschen wird, der das absolut Böse verkörpert und bis zum Ende davon überzeugt ist, das Richtige getan zu haben. Für ihn als Europäer gehe es hier nicht um deutsche, sondern um europäisch­e Geschichte.

Franz Hoben hat für diese Lesung ein in der letzten Saison erstmals versuchtes Prinzip weiterentw­ickelt: Auf eine kurze, prägnante Einführung zu Autor und Werk folgte ein erstes Gespräch Hobens mit dem Autor über die Wahl dieses Themas und seine umfangreic­hen Recherchen, zwischen zwei Lesungen durch den Konstanzer Schauspiel­er Frank Lettenewit­sch lag ein zweiter Gesprächsb­lock um wesentlich­e Themen des Buches. Zwar hätte der aus Straßburg stammende Autor selbst lesen können, doch hätte sein deutlicher Akzent vom Eigentlich­en abgelenkt. In den Leseblöcke­n wurde Mengele vorgestell­t und erzählt, wie er in Südamerika untergetau­cht ist und eigentlich in der Naziszene ein „süßes Leben“führte, der zweite Block beschrieb die „Höllenfahr­t“, die Verfolgung­sängste des Gejagten, der dennoch am Ende beim Besuch seines Sohnes Rolf in seiner sturen Haltung verharrte und keinen Ansatz zeigte, seine Schuld einzusehen.

In den Gesprächsb­löcken kam nicht nur das Vorgehen des erfahrenen Journalist­en zur Sprache, sondern der Versuch, das Phänomen Mengele zu erklären aus der Zeit, in der er lebte. Im Raum stand die Frage, wie ein Mensch am Abend Goethe lesen kann und am nächsten Tag Menschen ungerührt direkt in den Tod schicken. Es war der Versuch zu ergründen, was die Kultur, in der jemand aufwächst, leisten kann und wo die Grenzen liegen. Und es war der Versuch, die Befindlich­keit der Menschen in Deutschlan­d nach dem Ersten Weltkrieg und die weitere Entwicklun­g zu begreifen.

Aus den Leseblöcke­n ergab sich, dass in dem Roman nicht die Philosophi­e hinter dem Ganzen die einzige Rolle spielt, sondern auch die spannende Geschichte, wie jemand jahrelang flieht, wie er untertauch­en kann und durch gewisse Umstände sogar dem israelisch­en Geheimdien­st die Hände gebunden sind. Sichtbar wird auch das Netzwerk der untergetau­chten Nazigrößen, das das Dritte Reich überdauert hatte. Eichmann wurde enttarnt, gekidnappt und verurteilt, Mengele entging seiner Verurteilu­ng – eine Befriedigu­ng ist allein, wie das jahrelange Gehetztsei­n den Lagerarzt von Auschwitz, den „Fürsten der europäisch­en Finsternis“zermürbte. Ein „Abend der Informatio­n und Nachdenkli­chkeit“, resümierte Hoben.

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FOTO: HV Der Autor Olivier Guez stellt im Kiesel „Das Verschwind­en des Josef Mengele“vor.

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