Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Erfahrene Propheten warten die Ereignisse ab“
Fernsehjournalistin Antonia Rados kennt die Zukunft im Nahen und Mittleren Osten auch nicht
SALEM - Die preisgekrönte Fernsehjournalistin und Nahost-Expertin Antonia Rados hat ihren 400 Zuhörern bei den 39. Salemer Gesprächen am Freitagabend in der Schule Schloss Salem unter der Überschrift „Nahost – Schlüssel zur Weltgeschichte“, einen groben Überblick über die aktuelle Situation gegeben.
Vorhersagen, wie die Zukunft in dieser wichtigen Region aussehen wird, konnte auch sie nicht bieten und schloss sich einer Aussage aus der Region an, wonach „erfahrene Propheten die Ereignisse abwarten.“
Nach fünfjährigem Exil in Weingarten sind die Wirtschaftsjunioren wieder zu ihren Wurzeln nach Salem zurückgekehrt, was besonders den Gesamtleiter der Schule, Bernd Westermeyer, freut, der auf ein Wiedersehen bei den 40. Salemer Gesprächen im nächsten Jahr in Salem hofft. Philipp Frey, Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsjunioren BodenseeOberschwaben, wollte das noch nicht definitiv zusagen.
Die in Österreich geborene und heute in Paris lebende Journalistin, die in diesem Jahr 65 Jahre alt wurde und diesen Anlass mit dem Kommentar versah, „für Krisenreporter gibt es kein Rentenalter“, bezeichnete den Nahen Osten als „kreative und schöpferische Region seit Jahrtausenden“. Sie bereist die Region seit 1980, kam in den Anfängen immer mit Landkarten in die Länder und brachte auch nach Salem Karten mit, um unter anderem einen flächenmäßigen Vergleich mit Europa zu verdeutlichen. Europa mit seinen 500 Millionen Menschen ist flächenmäßig halb so groß wie die gesamte arabische Welt mit ihren 320 Millionen Einwohnern.
Ein großes Problem in diesem „schnell errichteten riesigen Reich“, das niemals unter Kontrolle gebracht wurde, ist die fehlende Infrastruktur.
Wegen der größten Erdölvorkommen weltweit stand Europa immer im Austausch mit dem Nahen Osten. Das, so Antonia Rados, hat Folgen bis heute. In einem Abkommen zwischen den USA und Saudi Arabien wurde vereinbart, „ihr gebt uns Öl – und wir sorgen für eure Sicherheit“. Immer wurde notwendige Stabilität in dieser „chaotischen Region“angemahnt, doch nach Jahrzehnten des Stillstandes klappte das nicht. 50 Prozent der arabischen Bevölkerung, die zu zwei Dritteln unter 30 Jahre jung ist, kann weder lesen noch schreiben. Übersetzungen von Fachbüchern gibt es nicht. Gleichwohl hat jeder ein Handy, aber Bagdad immer noch keine Stromversorgung, kann sich kaum auf Infrastruktur stützen, wie übrigens auch Ägypten nicht.
„Sprengkraft“, sagt Antonia Rados, hat das Satelliten-Fernsehen, das in 2500 verschiedene Sender schauen lässt. Verwirrung gibt es durch das Internet. Die digitalen Umbrüche verursachen Chaos. Für den amerikanischen Präsidenten sei der Nahe Osten nicht mehr so wichtig, er mache in Fracking. Dieser Rückzug könnte für Europa dramatische Veränderungen bringen.
Zwei Länder seien bei einer Neuordnung für Europa wichtig, allein wegen ihrer geografischen Lage als Brücke zwischen Europa und Asien: Der Iran und die Türkei. Beide wollen in der Region Regionalmächte werden. Vorteil des Iran: Er hat eine extrem gut ausgebildete Bevölkerung, in der mehr Frauen als Männer Universitäten besuchen. Trotz der aktuell kritischen wirtschaftlichen Situation in der Türkei und trotz Erdogan „wollen alle in der arabischen Welt“wie die Türkei sein.
Kritik an Trump
MdB Alexander Kulitz (FDP) hatte den Part, die Lage im Nahen Osten aus der Sicht der Wirtschaft zu deuten. Dabei kritisierte er die USA unter Trump, den Iran wirtschaftlich austrocknen zu wollen. Der Nahe Osten sei ein Sandkasten geworden, in dem alle großen Player spielen wollen, kritisierte er. Der Bundesregierung empfahl er, den Nahen Osten als Markt zu erschließen, dort Startups anzuschieben und dazu innerhalb der EU eine gemeinsame Struktur zu entwickeln.