Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Ruhe vor dem Sturm
Die Große Koalition hat sich entschieden. Zermürbt und demütig gestehen Union und SPD Verluste ein, und betonen, dass es auf keinen Fall weiter so gehen kann. Aber erst einmal soll es dann doch genau so weitergehen – zumindest bis zur Hessen-Wahl. Denn die Großkoalitionäre in Berlin wollen sich nicht schon wieder die Schuld geben müssen an der nächsten Landtagswahl-Schlappe. Es ist also die Ruhe vor dem Sturm, der nach der Hessen-Wahl aufbrausen wird.
In der Union schwelt die Frage, wann und wie sie ihre Kanzlerin ablösen will und kann, für die SPD aber stellt sich die Existenzfrage: Wie lange soll man die Große Koalition noch ertragen? Aber auch die Überlegung: Was könnte man sich derzeit schon von Neuwahlen versprechen?
Die SPD-Parteispitze hat den Kurs gewählt, weiter in der Großen Koalition zu bleiben und gleichzeitig ihr Profil zu schärfen. Genau das aber ist bislang nicht gelungen. „Raus aus der Groko“, diese Diskussion wird deshalb Fahrt aufnehmen. Aber auch die Frage nach Parteichefin Andrea Nahles. Ihr zollen zwar fast alle Genossen für ihren Einsatz Respekt, aber sie wissen auch allzu gut, dass Nahles bei den Wählern schlecht ankommt. Anders als Vizekanzler Olaf Scholz, der in der Bevölkerung besser punktet, für den in der Partei aber kaum jemand ein gutes Wort findet.
Über allem steht die Frage, ob man nicht generell gerade ein Dahinschmelzen der Volksparteien erlebt. Ob sie ihre Funktion als große gesellschaftliche Klammer vieler Interessen in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft nicht einfach verloren haben.
Fest steht: Ein „Weiter so“kann es weder für die SPD noch für die Union geben. Neues Personal, klare Inhalte, vor allem aber das Durchsetzen von Politik sind gefragt. Fünf Jahre angeblich baldige Einführung der Maut oder ein Jahr Beteuerungen wie im Dieselskandal, dass die Verbraucher nicht im Regen stehen dürfen (übrigens beides CSU-Themen), sind fatal. Nötig ist transparente Politik: Wann kommt was, und wie viel kostet es oder bringt es dem Wähler?