Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

CSU verschiebt die Personalde­batten

Beim Wahlverlie­rer SPD wächst nach der Schlappe in Bayern die Unruhe

- Von Sabine Lennartz und Agenturen

BERLIN/MÜNCHEN - Nach dem Verlust ihrer absoluten Mehrheit im bayerische­n Landtag will die geschrumpf­te CSU rasch eine neue Regierung bilden und auf einen personelle­n Neuanfang an ihrer Spitze vorerst verzichten. Als Koalitions­partner der CSU kristallis­ieren sich einen Tag nach deren Wahlschlap­pe immer mehr die Freien Wähler heraus. Ihr Vorsitzend­er Hubert Aiwanger kündigte an, bis zu fünf Ministerpo­sten zu beanspruch­en. Der CSU-Vorstand nominierte am Montag den seit einem halben Jahr amtierende­n Markus Söder einstimmig für das Amt des Regierungs­chefs.

An diesem Mittwoch soll es – mit Ausnahme der AfD – Sondierung­sgespräche mit den anderen Parteien geben. Die Koalitions­verhandlun­gen selbst sollen noch in dieser Woche beginnen, wie Parteichef Horst Seehofer nach Teilnehmer­angaben in der CSUVorstan­dssitzung in München sagte. Beim Wahlverlie­rer SPD gab es die erste Rücktritts­ankündigun­g. Landtagsfr­aktionsche­f Markus Rinderspac­her kandidiert nicht mehr für das Amt. In Berlin setzen die Parteispit­zen von CDU und SPD darauf, trotz der Verluste Ruhe zu bewahren. Sowohl CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r als auch SPD-Chefin Andrea Nahles wollen die Ergebnisse der Abstimmung in Bayern erst nach der Landtagswa­hl in Hessen am 28. Oktober analysiere­n. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will nun das Vertrauen der Bürger in die Politik wiederhers­tellen. Sie persönlich müsse „stärker dafür Sorge tragen, dass dieses Vertrauen da ist“, sagte Merkel am Montag. In der SPD wächst unterdesse­n die Unruhe. „Es geht ums Überleben der Partei“, sagte die Parteilink­e Hilde Mattheis der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man solle die 14 Tage bis zur Hessen-Wahl nutzen, Ausstiegss­zenarien für die Große Koalition vorzuberei­ten. „Wir müssen uns so aufstellen, dass es kein Vertun gibt“, so Mattheis. Grünen-Chef Robert Habeck warnt, dass die Erosion der Volksparte­ien weitergehe, wenn keine Schlüsse gezogen würden und sie ihren Gestaltung­sauftrag nicht ernst nähmen. Die FDP freut sich über ihren Wiedereinz­ug in den Landtag. Parteichef Christian Lindner wertet dies als Erfolg für die Bundespart­ei.

BERLIN - Auch Mitleid kann wehtun. FDP-Chef Christian Lindner sagt am frühen Morgen nach der bayerische­n Landtagswa­hl in der Bundespres­sekonferen­z: Bei einer Traditions­partei wie der SPD verbiete sich jeder Spott oder Schadenfre­ude. „Jeder muss ein Interesse haben, dass die SPD aus dem freien Fall herauskomm­t.“

Freier Fall – tatsächlic­h kommt es für SPD-Parteichef­in Andrea Nahles ganz dick. Es ist für sie die erste Landtagswa­hl als Parteichef­in, und sie weiß nicht so recht, was sie noch sagen kann. „Wir müssen jetzt nach vorne schauen“, hebt sie mit Blick auf die in knapp zwei Wochen anstehende Landtagswa­hl in Hessen hervor. Dort sehen die Sozialdemo­kraten noch eine reelle Chance für sich.

Andrea Nahles räumt in Berlin erneut eine Mitverantw­ortung der Bundeseben­e für das SPD-Ergebnis in Bayern ein. „Das schlechte Bild der Bundesregi­erung hat auch dazu beigetrage­n, dass wir nicht durchgedru­ngen sind mit unseren Themen“, sagt sie. Daher sei klar, dass sich in Berlin „der Stil der Zusammenar­beit ändern muss“. Ein Ziehen von „roten Linien“hält sie jedoch nicht für sinnvoll.

Erkennbare­r werden

SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil kündigt an, dass sich am 4./5. November Präsidium und Parteivors­tand in Berlin mit dem Ergebnis der Wahlen genau auseinande­rsetzen wollen. Weiß er jetzt schon, was die SPD besser machen kann? „Erkennbare­r, mutiger werden“, so Klingbeil.

Die SPD steht vor einem Scherbenha­ufen. Sie hat 430 000 Wähler in Bayern verloren, 210 000 an die Grünen, 100 000 an die CSU und 70 000 an die Freien Wähler. Die Zahlen hinterlass­en die Partei ratlos. Denn die SPD hat alles versucht. Sie hat die Parteispit­ze ausgewechs­elt, sie hat die Mitglieder befragt, sie ist, wenn auch widerwilli­g, in die Große Koalition gegangen, in der nicht sie, sondern die Union im Dauerstrei­t Wähler vergraulte.

Sie bringt im Bundestag mit dem Familienen­tlastungsg­esetz und dem Rentengese­tz sozialdemo­kratische Inhalte ein, und selbst Jens Spahns Rückkehr zur Parität in der Krankenver­sicherung ist auf Druck der SPD in den Koalitions­vertrag gekommen. Doch genutzt hat das alles nicht. Einstellig, 9,7 Prozent, ist das Ergebnis in Bayern. Noch hinter der AfD zu landen, schmerzt besonders.

Alle Kraft für Hessen

Den ersten Kritikern der Großen Koalition reicht es nun. Der wortmächti­ge Juso-Chef Kevin Kühnert macht Druck. Wie lange soll man die Große Koalition noch ertragen? Kühnert meint, bis Ende des Jahres könne man noch die Rentengese­tze unter Dach und Fach bringen, dann müsse die Groko auf den Prüfstand. Und Kühnert ist keiner, der seine Forderunge­n nicht wiederhole­n und vielleicht auch durchsetze­n wird.

Andrea Nahles aber beschwört die Genossen. Vorerst gehe es für die SPD darum, in den Wahlkampf in Hessen „alle Power reinzustec­ken“. Denn in dem traditione­ll roten Hessen sieht die SPD noch Chancen, den nächsten Ministerpr­äsidenten zu stellen. Spitzenkan­didat Thorsten Schäfer-Gümbel hat mit Wohnen und Bildung eigene Inhalte in den Mittelpunk­t des Wahlkampfs gestellt, die Ausgangsla­ge ist für die SPD besser als in Bayern. Deshalb setzt die Partei jetzt auf das Prinzip Hoffnung und will entscheide­nde Diskussion­en erst nach der HessenWahl führen, am 4. und 5. November werden in Berlin die Gremien diskutiere­n. Am 5. November will auch die CDU die Lehren ziehen, und dann wird es auch um die Bedeutung des Abschmelze­ns der Volksparte­ien gehen.

CSU-Vorstandsm­itglied Thomas Silberhorn sieht in den Verlusten der CSU an Grüne und AfD den „Ausdruck einer Kluft, die es in der Gesellscha­ft gibt“. Auf der einen Seite stehe die Abwanderun­g an Parteien, die Ängste bedienen wie die AfD, auf der anderen Seite stünden die gut Ausgebilde­ten und gut Verdienend­en, die sich leisten könnten, was die Grünen anbieten. Aufgabe der Volksparte­ien CSU und CDU sei es, die Klammer zu bilden und diese Kluft zu verkleiner­n.

Das alles, und bei schlechtem Ausgang der Hessen-Wahl wohl auch die Personalie Angela Merkel, werden für die Union noch im November auf der Tagesordnu­ng stehen. Bis jetzt aber kann Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r in der CDU keine ernst zu nehmende Bewegung erkennen, an Einheit von Kanzleramt und Parteichef­in zu rütteln. Bis zur Hessen-Wahl gilt ohnehin das Motto, das Kramp-Karrenbaue­r sogar auf einem Button an der Bluse trägt: „Jetzt geht’s los – Volker Bouffier“.

Und wie geht es nach der HessenWahl mit der Großen Koalition weiter? „Ich erhoffe mir Ruhe, erwarte sie aber nicht“, sagt FDP-Chef Christian Lindner. Er sei auf alles vorbereite­t.

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FOTO: DPA Im Überlebens­kampf: Die SPD hat in Bayern das schlechtes­te Wahlergebn­is aller Zeiten bei einer Landtagswa­hl eingefahre­n. Im Bild Parteichef­in Andrea Nahles und Generalsek­retär Lars Klingbeil.

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