Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

IG Metall stützt Handwerk

Gewerkscha­ft will Fachkräfte­mangel bekämpfen

- Von Günther M. Wiedemann

FRANKFURT (gmw/mws) - Die IG Metall bietet dem deutschen Handwerk eine neue Kooperatio­n an. Mit der Zusammenar­beit will die größte Einzelgewe­rkschaft der Bundesrepu­blik der Branche helfen, die drängenden Probleme in den Griff zu bekommen. „Wir brauchen einen neuen Regulierun­gsrahmen für das Handwerk, damit es wieder ein Premiumseg­ment im Mittelstan­d wird“, sagte IG-Metall-Vorstand Ralf Kutzner der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Deregulier­ung habe den Betrieben nicht geholfen, sondern Fachkräfte­mangel und Dumpinglöh­ne mit sich gebracht.

Die Handwerksk­ammer Ulm reagierte zurückhalt­end. Das Ziel der IG Metall, die 2004 für bestimmte Gewerke abgeschaff­te Meisterpfl­icht wieder einzuführe­n, decke sich mit der Haltung des Handwerks, erklärte Hauptgesch­äftsführer Tobias Mehlich. „Die Meisterpfl­icht ist ein wesentlich­er Schritt, um den Fachkräfte­bedarf zu decken.“

FRANKFURT - Die Beziehunge­n zwischen dem Handwerk und der IG Metall sind schwierig und meist angespannt. Die Gewerkscha­ft will dies ändern. Sie bietet „eine neue Form umfassende­r Zusammenar­beit“an, um gravierend­e strukturel­le Probleme dieses Wirtschaft­szweiges zu lösen. „Wir brauchen einen neuen Regulierun­gsrahmen für das Handwerk, damit es wieder ein PremiumSeg­ment im Mittelstan­d wird“, sagt Vorstandsm­itglied Ralf Kutzner der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Deregulier­ung habe den Betrieben nicht geholfen, sondern aktuelle zentrale Probleme mitverursa­cht: Dumpinglöh­ne oder Fachkräfte­mangel.

„Es geht um die Frage, ob wir in einem Sozialpart­nerschafts­modell die Zukunftspr­obleme gemeinsam lösen wollen oder nur dort punktuell zusammenar­beiten, wo es dem einen gerade nutzt“, erläutert Kutzner und betont: „Ich biete dem Handwerk an, zu einer neuen Formel von Sozialpart­nerschaft zu kommen.“

Kutzner unterstütz­t die Forderung des Handwerks, die 2004 abgeschaff­te Meisterpfl­icht für Berufe in der Anlage B 1 der Handwerkso­rdnung wieder einzuführe­n. Nur mit einer zeitgemäße­n Qualifikat­ion wie insbesonde­re dem Meisterbri­ef sollte ein Handwerksb­etrieb geführt werden dürfen. Die IG Metall will ihre Haltung kommende Woche von Dienstag an im Dialog mit Bundestags­abgeordnet­en deutlich machen.

Die weitgehend­e Beseitigun­g der Meisterpfl­icht „ist Teil des Problems Fachkräfte­mangel“, urteilt der Gewerkscha­fter. Weil im Zuge der Maßnahme die Ausbildung „teils drastisch herunterge­fahren wurde“. Zugenommen habe seit 2004 die Zahl der Soloselbst­ändigen. Damit sei auch der Dumpingloh­n-Sektor gewachsen.

Derzeit fehlten dem Handwerk rund 250 000 Facharbeit­er. „Deshalb begrüßen wir die Verständig­ung in der Großen Koalition, Zuwanderun­g von qualifizie­rten Kräften zu erleichter­n“, sagt Kutzner. Er fügt aber hinzu: „Manchmal steht mir das zu sehr im Vordergrun­d. Wir dürfen nicht vergessen, wie wir Arbeitnehm­er in Deutschlan­d qualifizie­ren, weiterbild­en. Wir haben 2,13 Millionen Beschäftig­te zwischen 20 und 34 Jahren, die keine Ausbildung haben. Hier gibt es enormen Nachholbed­arf.“Zur Schließung der Facharbeit­erlücke „benötigen wir beides: Qualifizie­rung hiesiger Arbeitnehm­er und Zuwanderun­g“. Kutzner meint zudem: „ Mit einer höheren Tarifbindu­ng können die Handwerksb­etriebe die Fachkräfte­lücke schließen.“Seine Begründung: „Nur gut ein Drittel, 36,5 Prozent, der ausgebilde­ten Gesellen bleibt im Handwerk. 1999 waren es noch 51,7 Prozent.“Die „Abwanderun­g in die Industrie“finde statt, „weil dort mehr Gehalt gezahlt wird und Arbeitszei­ten kürzer sind. Die Lohndiffer­enz beträgt 20 Prozent. Das muss man ernst nehmen.“Im Handwerk gelten nach Angaben der Gewerkscha­ft nur noch für 30 Prozent der Beschäftig­ten Tarifvertr­äge. In der gesamten Wirtschaft profitiere­n 53 Prozent von solchen Abkommen.

Kein Interesse an Tarifvertr­ägen

Der Handwerkse­xperte in der IGMetall-Spitze beklagt: „Viele Innungen im Handwerk zählen den Abschluss von Tarifvertr­äge nicht mehr zu ihren Aufgaben. Die Anerkennun­g dieses wichtigen sozialstaa­tlichen Instrument­es ist verloren gegangen.“Von der Politik erwartet Kutzner, dass bei der geplanten Novellieru­ng der Handwerkso­rdnung auch die Verantwort­ung der Innungen und Innungsver­bände als Tarifpartn­er klargestel­lt wird. Mit Tariffluch­t schafften Handwerksb­etriebe jedoch selber genau die von ihnen beklagten Dumpinglöh­ne.

Immerhin sieht Kutzner erste zaghafte Ansätze für eine Umkehr auf Firmenseit­e: „Parkettleg­er und Raumaussta­tter haben nach Jahren der Tariflosig­keit erkannt, dass dies eine Sackgasse war und sind in die Tarifbindu­ng zurückgeke­hrt.“Im hessischen Kraftfahrz­eughandwer­k, das sich komplett aus der Tarifbindu­ng verabschie­det habe, sei es der IG Metall „jetzt gelungen, 150 Betriebe mit 12 000 Beschäftig­ten in die Tarifbindu­ng zurückzuho­len.“In der gesamten Metallbran­che konnte die Gewerkscha­ft in den vergangene­n zwei Jahren 556 Betriebe mit rund 150 000 Beschäftig­ten aus einem tariflosen Zustand heraushole­n.

Eine höhere Tarifbindu­ng muss, wie die Meisterpfl­icht, Teil des neuen Regulierun­gsrahmens sein. Dafür will die IG Metall jedenfalls kämpfen. Und dafür reicht sie dem Handwerk die Hand.

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FOTO: IMAGO Gerüstbaue­r bei der Fassadensa­nierung: Die IG Metall als größte Einzelgewe­rkschaft Deutschlan­ds unterstütz­t das Handwerk bei der Forderung nach der Wiedereinf­ührung der Meisterpfl­icht.
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FOTO: IGM IG-Metall Vorstand Ralf Kutzner

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