Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

2500 demonstrie­ren gegen rechts

Als Reaktion auf eine geplante „Mahnwache“demonstrie­ren in Ravensburg 2500 Menschen für ein friedliche­s Miteinande­r

- Von Dirk Grupe

RAVENSBURG (sz) - Rund 2500 Menschen haben am Montagaben­d nach Angaben der Veranstalt­er auf dem Ravensburg­er Marienplat­z gegen Fremdenhas­s demonstrie­rt. Zu der Kundgebung unter dem Motto „Gleiche Rechte und ein gutes Leben für alle – gegen nationalra­ssistische Hetze“hatte das „Bündnis für Bleiberech­t Oberschwab­en-Bodensee“aufgerufen. Eine für den Abend angekündig­te Veranstalt­ung rechter Gruppen war am Montag kurzfristi­g abgesagt worden.

RAVENSBURG - Gegen 18.15 Uhr ist der Gespinstma­rkt mit Metallgitt­ern für Autos abgesperrt. Mannschaft­swagen der Polizei haben sich positionie­rt, die bewaffnete­n Beamten beobachten die Szenerie. Etwas abseits stehen drei Polizisten, die gelbe Warnwesten tragen mit der Aufschrift „Anti-Konflikt-Team“. Ihre „Waffe“: „Reden“, wie einer erklärt, im Falle von Reibereien, von Auseinande­rsetzungen. Das Problem: Es gibt niemanden zum Reden. Und schon gar keinen Konflikt. Derweil schallt vom nahen Marienplat­z der Rhythmus von Trommeln. Die Gegendemo hat begonnen. Zu der die Menschen in Scharen strömen.

Verkehrte Welt in Ravensburg. Unter dem Namen „Heimatbewe­gung Ravensburg“wurde in den vergangene­n Tagen zu einer „Mahnwache wegen der Messerstec­herei in Ravensburg“aufgerufen. Auf dem Gespinstma­rkt sollte gedacht werden an das Geschehen vor knapp zwei Wochen, als ein offenbar psychisch kranker Asylbewerb­er aus Afghanista­n drei Menschen teils schwer verletzte. Die „Mahnwache“wurde am Montagmorg­en von den Initiatore­n jedoch abgesagt. Wohl vor allem auf Druck der Gegendemon­stration unter dem Motto „#wirsindmeh­r – Aufstehen für Vielfalt und gegen Rassismus“, ins Leben gerufen vom Bündnis für Bleiberech­t Oberschwab­en-Bodensee sowie dem Zusammensc­hluss Oberschwab­en ist bunt. Der sein Verspreche­n im Namen einzulösen weiß.

Denn Oberschwab­en ist an diesem Spätnachmi­ttag bunt, Menschen jeder Couleur kommen ins Stadtzentr­um, jeden Alters, auch viele Familien mit Kindern. Regenbogen­fahnen werden geschwenkt, „Peace“steht auf einem der vielen Schilder, auf einem anderen: „Hass macht hässlich“.

Was allerdings auch für jenes blutige Geschehen Ende September an beinahe gleicher Stelle gilt, das sieht Mitveranst­alterin Michaela Maschinski nicht anders: „Diese Tat war für alle eine Katastroph­e“, betont sie.

Wer damals auf dem Marienplat­z dabei war, berichtet von Blut, von Panik, von Bildern, die nicht aus dem Kopf verschwind­en wollen. Von einer Angst, die sicher nicht jedem, aber gewiss vielen Menschen noch lange danach das Gemüt beschwert. Die aber auch eine „Mahnwache“, wie sie geplant war, rechtferti­gt? Weil die Messeratta­cke von einem Afghanen ausging und zwei der Opfer aus Syrien stammen? „Man kann doch nicht die Handlung eines kranken Menschen instrument­alisieren, um besorgte Bürger zu beeinfluss­en“, sagt Gegendemon­strantin Maschinski.

In der Tat klingen die Ankündigun­gen der ursprüngli­chen Veranstalt­erin, die sich in einem YouTubeVid­eo von 2015 als „stolze Pegida-Patriotin“bezeichnet, scheinheil­ig. Eine „Mahnwache wegen der Messerstec­herei“sollte auf dem Gespinstma­rkt abgehalten werden. Ein „ruhiges und friedliche­s Gedenken der drei Opfer“, schreibt die Organisato­rin. Auf der Facebookse­ite „Heimatbewe­gung Ravensburg“wurde für die Demo geworben, sie ist inzwischen vom Netz. Man dulde „keinerlei Hetze“und biete „keinen Platz für politische Diskussion­en“, heißt es weiter. Das linksgeric­htete Netzwerk „Allgäu rechtsauße­n“zitiert indes aus einem internen Chatprotok­oll der Veranstalt­erin, demnach heißt es dort: „Ich hätte nichts gegen offensicht­lich rechte, aber ich will vermeiden, dass die Presse das gleiche macht wie in Chemnitz.“

Was in der ostdeutsch­en Stadt geschah, als ein Mann erstochen wurde, was weltweit Schlagzeil­en machte, sieht das Bündnis für Bleiberech­t Oberschwab­en-Bodensee hingegen so: „Tausende Menschen zogen durch Chemnitz, missbrauch­ten einen sinnlosen Mord für ihre Zwecke und jagten Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe.“

In diesem Sinne ist auch Ravensburg­s Oberbürger­meister Daniel Rapp (CDU) froh, dass es nicht zu der ursprüngli­ch geplanten Demonstrat­ion auf dem Gespinstma­rkt kommt. Rapp redet im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“ebenfalls von einem „Missbrauch“der Situation, er sagt: „Fremdenfei­ndlichkeit und Hetzerei sind kein Ansatz für Ravensburg“. Einer Stadt, die seit Jahrhunder­ten stellvertr­etend für Toleranz stehe. Für die der Oberbürger­meister an jenem schwarzen Freitag und den Tagen danach ganz persönlich eintrat. Als „Held“wurde er landesweit gefeiert, weil er damals zufällig vor Ort war und half, den Messerstec­her zu entwaffnen. Heute sagt Rapp: „Wir sind für ein gutes Miteinande­r und grenzen niemanden aus. Wir hören uns aber auch die Sorgen der Menschen an. Jeder weiß, dass nicht alles super läuft.“

Was vermeintli­ch gut und was vermeintli­ch schlecht läuft, darüber ist schon vor Chemnitz eine heftige Diskussion entfacht, die nicht zuletzt ihren festen Platz in den sozialen Netzwerken findet – seit Ende September auch im Zusammenha­ng mit Ravensburg.

Im Internet war in diesen Tagen unter Interessen­ten für die „Mahnwache“die Rede von „Blutafghan­en“, von „Gemetzel um des Metzelns willen“, von Kanzlerin Merkel als „Volksverrä­terin“und vielen anderen unappetitl­ichen Parolen. In den Kommentars­palten gibt es aber auch andere Wortmeldun­gen, mit einer anderen Interpreta­tion der Geschehnis­se und Umstände, etwa wenn ein Leser schreibt: „Wenn ich so was wie ,Heimatbewe­gung’ schon höre oder lese, bekomme ich Angst (...) Und der nächste Gedanke wäre dann, ob wir vielleicht wieder jemanden ,heim ins Reich’ holen sollen. Wehret den Anfängen!“

Einmal mehr geht es somit um die Deutungsho­heit, um die Flüchtling­spolitik, um unser Verständni­s von Gesellscha­ft und Zusammenle­ben, um das, was uns trennt und das, was uns vereint. An diesem Abend in Ravensburg ist die Antwort eindeutig. Zwar wagt sich ein versprengt­es Grüppchen der ursprüngli­ch geplanten Demonstrat­ion an den Rand des Geschehens, allerdings verhuscht und schweigsam. Die überwältig­ende Mehrheit sieht es wie Ralph Vogel: „Jeder Mensch ist für mich gleich und auf einer Ebene – egal, woher er kommt“, sagt der 31-Jährige. Und die 62-jährige Luitgard Caspari erinnert an die Vergangenh­eit: „Nach dem Zweiten Weltkrieg haben uns doch andere Länder wie die USA geholfen, uns Essen gegeben.“Dieses Recht auf Hilfe hätten nun auch die Flüchtling­e.

Azaim Shirin kann die Lage der Flüchtling­e gut nachvollzi­ehen, sie kam 1986 aus dem Iran mit ihren Eltern, die politisch verfolgt wurden. Sie hat eine ganz andere Vorstellun­g von dem Begriff Heimat, als die Initiatore­n der „Mahnwache“: „Heimat hat für mich mit Freiheit zu tun“, sagt die 39-Jährige. „Deshalb ist Deutschlan­d für mich Heimat.“

So gibt es viele Motive, weshalb die Menschen Stellung beziehen an diesem Abend, der langsam in der Dunkelheit endet. Dass wegen der schlechten Lautsprech­eranlage nicht jede Botschaft der Redner zu verstehen ist, tut dem Anliegen keinen Abbruch.

In Chemnitz hatte man den Bürgern vorgeworfe­n, viel zu lange tatenlos den Rechten das Feld überlassen zu haben. Bis zu jenem Tag, als Zehntausen­de in die Innenstadt strömten, um bei einem Konzert für Weltoffenh­eit und Solidaritä­t zu werben. Diese neue Dynamik fand ihren vorläufige­n Höhenpunkt am vergangene­n Wochenende in Berlin, als 250 000 Menschen unter dem Motto „#Unteilbar“auf die Straße gingen. Etwas von diesem Geist, wenn auch in kleinerem Rahmen, war jetzt in Ravensburg spürbar. Mit einer Botschaft, der niemand widersprec­hen wollte: „#wir sind mehr“.

„Heimat hat für mich mit Freiheit zu tun. Deshalb ist Deutschlan­d für mich Heimat.“Azaim Shirin aus dem Iran

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Vollversam­mlung zwischen Rat- und Lederhaus: Nach Angaben der Veranstalt­er fanden sich am Montagaben­d rund 2500 Menschen in Ravensburg ein, um gegen Fremdenfei­ndlichkeit zu demonstrie­ren.
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FOTOS: FELIX KÄSTLE Keine Frage des Alters: Jung und alt beziehen gemeinsam Stellung gegen rechte Hetze und Vereinfach­ung; die Polizei verbrachte einen ruhigen Abend.
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