Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Bühne als verkleinerte Welt
Puppenspieler Ottokar Seifert erzählt in Ravensburg seit 40 Jahren Geschichten
RAVENSBURG - Eine Zauberin mit lilafarbenem Haar und bösem Blick im grünlichen Gesicht hängt an den Fäden, die Ottokar Seifert (74) in den Händen hält. Er lässt sie anmutig ihre Hand heben. Die Figur bannt alle Aufmerksamkeit und lässt den Puppenspieler hinter sich verschwinden.
Seit 40 Jahren lässt Ottokar Seifert in Ravensburg die Puppen sprechen. Generationen von Kindern saßen vor der Bühne seines Puppentheaters. Sie haben sich mit ihm in Märchen und Geschichten vertieft, haben mit den Figuren gelitten und gelacht. Von 27. Oktober bis 4. November feiert „Ottokars Puppentheater“im Vogthaus Jubiläum. „Er hat eine köstliche Art“, sagt Inge MauchFrohn aus dem Vorstand der Bürgerstiftung im Kreis Ravensburg, die das Theater unterstützt, über den Puppenspieler. Sie hat den Beginn miterlebt, 1978, die Eröffnung eines Zimmerpuppentheaters in der Herrenstraße. Mauch-Frohns Kinder mochten Ottokars Geschichten. „Aber ich fand es manchmal noch spannender“, sagt sie. Abenteuer, Emotionen, Spannung – das alles bringe der Puppenspieler rüber. „Er spielt derart mit Herzblut. Man spürt bei jedem Spiel, dass er selber Spaß hat“, sagt sie. „So ein persönliches Engagement findet man nicht jeden Tag“, sagt Mauch-Frohn. „Er hat wunderbare Mitstreiter, die machen das alles ehrenamtlich.“
Nach Deutschland geflüchtet
Ottokar Seifert ist 1968 nach der Niederschlagung der Reformbewegung in der Tschechoslowakei nach Deutschland geflüchtet. Nachdem er Deutsch gelernt hatte, begann er ein Studium an der Fachschule für Sozialpädagogik in Ravensburg und schloss ein Aufbaustudium in Heilpädagogik an, wie er erzählt. Schon 1973 führte er ein erstes Puppentheaterstück auf.
Mit Zigaretten bezahlt
Seine künstlerische Leidenschaft, die seine Mutter einst in ihm geweckt hatte, war wiedererweckt. Sie hatte ihm in seiner Kindheit Geigenund Ballettunterricht ermöglicht, sagt Seifert, indem sie die Lehrer in der damaligen Tschechoslowakei mit Zigaretten bezahlte. Das Theaterspiel ist für Ottokar Seifert, den Heilpädagogen, aber viel mehr als Kunst. Er will Kindern mit dem Theater etwas vermitteln: „Freude, Werte, gemeinsames Erleben“, sagt er. Er wolle Kinder auf den Alltag vorbereiten. Wolle aufklären, zum Beispiel über Umweltschutz, aber nicht ins Moralisieren fallen – „weil das zu einfach ist“. Die Puppen begreift er als Medium, die Bühne als verkleinerte Welt.
Aber er spielt längst nicht nur in Ravensburg in seinem Theater. Er besucht Kinder im Krankenhaus und Senioren, er reist immer wieder auch in seine alte Heimat, das heutige Tschechien, wo das Puppenspiel eine besondere Tradition hat. Zum Jubiläum kommt eine tschechische Gruppe nach Ravensburg. Seifert spielt mit unterschiedlichsten Arten von Puppen, hat viele Kulissen gebaut und mit seinen Ensembles eine Vielzahl von Inszenierungen aufgeführt.
Mehrfach musste Ottokars Puppentheater die Spielstätte wechseln. Unter anderem am Gespinstmarkt hat er eine Zeit lang Quartier bezogen. Wie lange er noch in seiner jetzigen Spielstätte im Vogthaus bleiben kann, ist unklar, weil die Stadt gerne einen Teil der Musikschule dort unterbringen möchte. Dass er möglicherweise auf seine alten Tage noch mal umziehen soll, macht Seifert Sorgen und ärgert ihn. Schon 40 Jahre habe er „Theater mit dem Theater“, sagt er. „Man könnte eine Inszenierung daraus machen – Kabarett oder Drama, da ist alles dabei.“Seifert sagt, das Theater sei seine Familie. Und er will weiterspielen. „Ich mache es, so lange ich mental da bin.“