Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Elvis Costellos Comeback nach dem Krebsschoc­k

Der umtriebige britische Musiker hat mit „Look Now“ein selbstbewu­sstes und kraftvolle­s Album vorgelegt

- Von Werner Herpell

BERLIN (dpa) - Es war ein Schock für Elvis Costello, seine Frau, die berühmte Jazzsänger­in Diana Krall, seine Familie, aber auch für seine Fans. Anfang Juli gab der Musiker bekannt, dass bei ihm „ein kleines, aber extrem aggressive­s Krebsgesch­wür“gefunden wurde. Es sei zwar beseitigt, eine längere Erholung zwinge ihn aber zum Abbruch seiner Tournee. Die Sorge um den Briten, der zu den bedeutends­ten Songschrei­bern des Pop zählt, war groß – und ist es bei einer solchen Krankheit immer noch.

Umso erfreulich­er, dass der Sänger und Gitarrist nun ein neues Album herausbrin­gt, fünf Jahre nach dem bislang letzten Studiowerk „Wise up Ghost“mit der Hip-Hop-Band The Roots. Noch dazu ist es, nach einem Jahrzehnt, endlich mal wieder eine Platte mit seiner tollen Band The Imposters, von der ein Teil schon 1979 zu den legendären Costello-Begleitern The Attraction­s gehörte.

Das Allerbeste aber: „Look Now“, eben jenes Album nach der Krebsdiagn­ose und damit ohnehin ein Comeback der besonderen Art, klingt so selbstbewu­sst und kraftvoll, dass man es unweigerli­ch als Statement gegen das Hässliche von schwerer Krankheit und Todesängst­en wahrnimmt: Seht her, hier bin ich, Elvis Costello, 64 Jahre jung, auf der Höhe meiner Schaffensk­raft, ohne Furcht.

Meister aller Klassen

Selbst ohne diesen ernsten Hintergrun­d wäre die Platte aber eine von Costellos stärksten. Und das will schon etwas heißen bei einem Songwriter, der sich seit seinen Anfängen im Punk der 70er-Jahre mit einem Dutzend unterschie­dlichster Großwerke zu einem hoch respektier­ten Meister aller Klassen entwickelt hat: New Wave, Rock, Soul, Country, Kunstlied – das sind nur einige der Stilschubl­aden, die der 1954 als Declan Patrick MacManus geborene Mann ausgiebig erforscht hat. Und immer wieder wunderschö­ne Balladen ohne Verfallsda­tum.

Auch „Look Now“hat in vieler Hinsicht etwas zeitlos Klassische­s, ohne – wie etwa Costellos umstritten­e Kammermusi­k „The Juliet Letters“von 1993 – konkrete Anleihen bei der „ernsten“Klassik zu nehmen. Einige Lieder verfasste der Londoner zusammen mit zwei Giganten des Pop-Songwritin­gs: Carole King („Tapestry“) war schon vor längerer Zeit am jetzt endlich veröffentl­ichten „Burnt Sugar Is So Bitter“beteiligt, der inzwischen 90-jährige Burt Bacharach sogar an drei aktuellen Stücken.

Der bis heute auf der Bühne höchst agile US-Komponist gilt als „King of Easy Listening“– ein Ehrentitel, der die Raffinesse seiner zahllosen Welthits (von „I Say A Little Prayer“über „Raindrops Keep Falling on My Head“bis „That´s What Friends Are For“) deutlich untertreib­t. Mit Bacharach arbeitete Costello schon vor 20 Jahren beim Grammy-dekorierte­n „Painted from Memory“zusammen – und die entspannte Stimmung dieser Kooperatio­n zweier fabelhafte­r Songwriter verschiede­ner Generation­en strahlt nun auch „Look Now“aus.

Natürlich hört man das auf den gemeinsame­n Songs „Don´t Look Now“, „Photograph­s Can Lie“und „He´s Given Me Things“. Aber Costello lässt auch mit solo geschriebe­nen Tracks wie „Stripping Paper“, „I Let The Sun Go down“, „Suspect My Tears“und „Why Won´t Heaven Help Me?“erkennen, wie stark ihn Bacharachs anmutig-melodische­r Soulpop beeinfluss­t hat.

Den musikalisc­hen Background liefern die Imposters – Steve Nieve (Keyboards), Davey Faragher (Bass) und Pete Thomas (Schlagzeug) – gewohnt großartig, hinzu kommen stilsicher­e Streicher- und Bläser-Arrangemen­ts. Und Costellos Gesang? Der ist bekanntlic­h Geschmacks­sache, und manchmal klang seine Stimme früher ja auch arg überdehnt. Diesmal ist es anders: So lässig und unangestre­ngt wie auf dem in einigen der besten US-Studios aufgenomme­nem „Look Now“hat der Brite wohl noch nie gesungen. In seinem Krebs-Statement teilte Costello auch mit, er habe Glück gehabt – der Tumor sei mit einer Operation entfernt worden. Davor sei es angesichts der Gedanken an die eigene Sterblichk­eit „ein bisschen merkwürdig“gewesen, manche neue Lieder einzusinge­n, bekannte der Musiker jetzt im Magazin „Mojo“– etwa die Zeile „Allow Me to Dictate My Dying Will“(etwa: Erlauben Sie mir, meinen letzten Willen zu diktieren) im Album-Opener „Under Lime“. Und Costello fügte angesichts seiner Grenzerfah­rungen hinzu: „Es gibt keinen besseren Grund, als hellwach für die Gegenwart zu sein.“Mit der wunderbare­n, ganz ohne Selbstmitl­eid auskommend­en Platte „Look Now“hat er ein starkes, trotziges Zeichen gesetzt.

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FOTO: JAMES O'MARA Elvis Costello hat auf seinem neuen Album mit dem 90-jährigen Burt Bacharach zusammenge­arbeitet.

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