Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Endspiel für Löw

Zerschellt die erfolgreic­he Ära wirklich an einem Wettbewerb namens Nations League?

- Von Patrick Strasser

PARIS - St. Denis, der eher raue Vorort im Norden von Paris. Hier wollte Joachim Löw unbedingt hin, im Sommer 2016. Er schaffte es nur bis Marseille, ins Halbfinale. Dort machte seine Auswahl ihr bestes Spiel bei jener EM, scheiterte aber mit 0:2 am Gastgeber – dem späteren Finalverli­erer gegen Portugal – dem heutigen Weltmeiste­r.

Zur Partie an diesem Dienstag (20.45 Uhr, ARD) im Nationalst­adion der Franzosen wollte Löw sicher nicht unbedingt. Die Auslosung für die neu konstruier­te Nations League wollte es so, dass der aktuelle Weltmeiste­r die Deutschen in dem Moment empfängt, in dem der ehemalige Weltmeiste­r taumelt und wankt. Mitten im Abstiegska­mpf, der zugleich ein Überlebens­kampf ist. Für den Bundestrai­ner.

Vor wenigen Monaten noch galt der 58-jährige Südbadener, der Weltmeiste­rtrainer von 2014, trotz schwacher bis besorgnise­rregender Testspiele­rgebnisse im Herbst 2017 und im Frühjahr 2018 als unantastba­r. Bei sechs aufeinande­rfolgenden Turnieren seit der Heim-WM 2006 – als Löw noch Jürgen Klinsmanns Assistent, aber eher Mastermind war – war es ihm und seinen Mannschaft­en immer gelungen, mindestens das Halbfinale zu erreichen. Es gab Zeiten, da galt Löw als Everbody's Darling in Deutschlan­d. Immer smart, charmant, eloquent – und eben erfolgreic­h. Mit dem goldenen Weltpokal krönte er seine Regentscha­ft. Löw schwebte.

Und nun steht er vor dem Abstieg mit seiner Mannschaft in die B-Liga dieses Wettbewerb­s, dessen Sinn sich wohl nicht einmal allen UEFA-Funktionär­en erschließt. Und hier soll wirklich die Ära Löw enden? Die erfolgreic­hste Zeit eines deutschen Bundestrai­ners? Entlassen wegen Misserfolg­s in der Nations League? Wirklich? Oder findet Löw noch den Ausweg aus der Krise? Das 0:3 in Amsterdam gegen die Niederland­e hat richtig wehgetan. Kein Tor in den letzten drei Pflichtspi­elen, fünf Pleiten in diesem Jahr – so bitter sah zuletzt das Länderspie­ljahr 1985 aus.

„Wenn das alles war, halte ich es aus“

Derzeit wird rund um die Nationalma­nnschaft alles hinterfrag­t. Löws Taktik, sein Spielstil, seine Personalau­swahl, sein Führungsst­il. Alles. Jede Bewegung wird am Dienstag am TV seziert werden. Ein Trainer unter Beobachtun­g. Unter Druck.

„Kritik muss man annehmen, aber als Trainer blende ich das aus, das kann ich gut in den Tagen zwischen den Spielen“, sagte der Bundestrai­ner am Montag auf der Pressekonf­erenz, „meine wichtige Aufgabe ist das Spiel am Dienstag. Löw wirkte aufgeräumt, lächelte. Wie schon Ende vergangene­r Woche in Amsterdam kam die Frage nach dem Druck, ob er denn dieser Tage schlechter nächtige. „Ich schlafe anders“, das räumte er ein. Aber aus einem anderen Grund: „Ich war ein bisschen grippekran­k, hatte Halsweh und Gliedersch­merzen, das stört in der Regel den ruhigen Schlaf. Mit dem Druck kann ich schon umgehen, ich wusste, dass es massiv werden würde.“Und dann folgte mit einem Gewinnerlä­cheln der zentrale Satz: „Wenn das alles war, halte ich es aus.“

Am Morgen nach dem 0:3 hatte er sich mit Präsident Reinhard Grindel unterhalte­n. „Er hat mir das Vertrauen ausgesproc­hen – das ist gut“, berichtete Löw und relativier­te sogleich: „Aber das ist nicht das Wichtigste für mich. Dass wir jetzt zusammenst­ehen müssen, ist klar.“Grindel hatte Löw Rückendeck­ung gegeben: „Dass der Weg unserer Mannschaft nach der WM auch Rückschläg­e mit sich bringen kann, war uns allen klar.“Aber gleich so derb?

Der Weltmeiste­rtrainer, noch vor der WM ohne Not mit einem Vertrag bis 2022 ausgestatt­et, hat sich angreifbar gemacht. Mittlerwei­le sieht er sich gezwungen, die Rhetorik eines ganz normalen Bundesliga­trainers, der sich im Abstiegska­mpf für Aufstellun­g und Taktik rechtferti­gen muss, zu verwenden: „Wir spielen gegen den Weltmeiste­r, haben nichts zu verlieren, nur zu gewinnen.“

Die entscheide­nde Frage wird sein: Geht Löw das Endspiel mit seinen alten Helden, den treuen Vasallen Neuer, Hummels, Kroos, Müller, die nach dem Spiel in den Niederland­en ein wenig an Wahrnehmun­gsstörunge­n zu leiden schienen, an? Oder vertraut Löw doch den, manchmal noch zu ungeduldig­en, hibbeligen jungen und zuletzt immer größere Ansprüche anmeldende­n Wilden um Kimmich & Co.? Letzteres würden Fans und Verantwort­liche dem Bundestrai­ner sicher eher verzeihen. Denn dann hätte er wenigstens Courage bewiesen.

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FOTO: AFP Kein Gedanke ans Hinschmeiß­en – Joachim Löw während des Abschlusst­rainings für das Spiel gegen Frankreich.

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