Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Endspiel für Löw
Zerschellt die erfolgreiche Ära wirklich an einem Wettbewerb namens Nations League?
PARIS - St. Denis, der eher raue Vorort im Norden von Paris. Hier wollte Joachim Löw unbedingt hin, im Sommer 2016. Er schaffte es nur bis Marseille, ins Halbfinale. Dort machte seine Auswahl ihr bestes Spiel bei jener EM, scheiterte aber mit 0:2 am Gastgeber – dem späteren Finalverlierer gegen Portugal – dem heutigen Weltmeister.
Zur Partie an diesem Dienstag (20.45 Uhr, ARD) im Nationalstadion der Franzosen wollte Löw sicher nicht unbedingt. Die Auslosung für die neu konstruierte Nations League wollte es so, dass der aktuelle Weltmeister die Deutschen in dem Moment empfängt, in dem der ehemalige Weltmeister taumelt und wankt. Mitten im Abstiegskampf, der zugleich ein Überlebenskampf ist. Für den Bundestrainer.
Vor wenigen Monaten noch galt der 58-jährige Südbadener, der Weltmeistertrainer von 2014, trotz schwacher bis besorgniserregender Testspielergebnisse im Herbst 2017 und im Frühjahr 2018 als unantastbar. Bei sechs aufeinanderfolgenden Turnieren seit der Heim-WM 2006 – als Löw noch Jürgen Klinsmanns Assistent, aber eher Mastermind war – war es ihm und seinen Mannschaften immer gelungen, mindestens das Halbfinale zu erreichen. Es gab Zeiten, da galt Löw als Everbody's Darling in Deutschland. Immer smart, charmant, eloquent – und eben erfolgreich. Mit dem goldenen Weltpokal krönte er seine Regentschaft. Löw schwebte.
Und nun steht er vor dem Abstieg mit seiner Mannschaft in die B-Liga dieses Wettbewerbs, dessen Sinn sich wohl nicht einmal allen UEFA-Funktionären erschließt. Und hier soll wirklich die Ära Löw enden? Die erfolgreichste Zeit eines deutschen Bundestrainers? Entlassen wegen Misserfolgs in der Nations League? Wirklich? Oder findet Löw noch den Ausweg aus der Krise? Das 0:3 in Amsterdam gegen die Niederlande hat richtig wehgetan. Kein Tor in den letzten drei Pflichtspielen, fünf Pleiten in diesem Jahr – so bitter sah zuletzt das Länderspieljahr 1985 aus.
„Wenn das alles war, halte ich es aus“
Derzeit wird rund um die Nationalmannschaft alles hinterfragt. Löws Taktik, sein Spielstil, seine Personalauswahl, sein Führungsstil. Alles. Jede Bewegung wird am Dienstag am TV seziert werden. Ein Trainer unter Beobachtung. Unter Druck.
„Kritik muss man annehmen, aber als Trainer blende ich das aus, das kann ich gut in den Tagen zwischen den Spielen“, sagte der Bundestrainer am Montag auf der Pressekonferenz, „meine wichtige Aufgabe ist das Spiel am Dienstag. Löw wirkte aufgeräumt, lächelte. Wie schon Ende vergangener Woche in Amsterdam kam die Frage nach dem Druck, ob er denn dieser Tage schlechter nächtige. „Ich schlafe anders“, das räumte er ein. Aber aus einem anderen Grund: „Ich war ein bisschen grippekrank, hatte Halsweh und Gliederschmerzen, das stört in der Regel den ruhigen Schlaf. Mit dem Druck kann ich schon umgehen, ich wusste, dass es massiv werden würde.“Und dann folgte mit einem Gewinnerlächeln der zentrale Satz: „Wenn das alles war, halte ich es aus.“
Am Morgen nach dem 0:3 hatte er sich mit Präsident Reinhard Grindel unterhalten. „Er hat mir das Vertrauen ausgesprochen – das ist gut“, berichtete Löw und relativierte sogleich: „Aber das ist nicht das Wichtigste für mich. Dass wir jetzt zusammenstehen müssen, ist klar.“Grindel hatte Löw Rückendeckung gegeben: „Dass der Weg unserer Mannschaft nach der WM auch Rückschläge mit sich bringen kann, war uns allen klar.“Aber gleich so derb?
Der Weltmeistertrainer, noch vor der WM ohne Not mit einem Vertrag bis 2022 ausgestattet, hat sich angreifbar gemacht. Mittlerweile sieht er sich gezwungen, die Rhetorik eines ganz normalen Bundesligatrainers, der sich im Abstiegskampf für Aufstellung und Taktik rechtfertigen muss, zu verwenden: „Wir spielen gegen den Weltmeister, haben nichts zu verlieren, nur zu gewinnen.“
Die entscheidende Frage wird sein: Geht Löw das Endspiel mit seinen alten Helden, den treuen Vasallen Neuer, Hummels, Kroos, Müller, die nach dem Spiel in den Niederlanden ein wenig an Wahrnehmungsstörungen zu leiden schienen, an? Oder vertraut Löw doch den, manchmal noch zu ungeduldigen, hibbeligen jungen und zuletzt immer größere Ansprüche anmeldenden Wilden um Kimmich & Co.? Letzteres würden Fans und Verantwortliche dem Bundestrainer sicher eher verzeihen. Denn dann hätte er wenigstens Courage bewiesen.