Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ukraine-Konflikt spaltet die orthodoxen Kirchen
Am Montagabend beschloss die russisch-orthodoxe Kirche auf einer Synode in Minsk den endgültigen Bruch mit dem orthodoxen Patriarchat in Konstantinopel. Am folgenden Morgen erfuhren Russlands Gläubige, welche Stätten im Ausland sie besser meiden sollten. Wer den Anweisungen nicht Folge leiste, müsse mit Strafen rechnen, ließ die russisch -orthodoxe Kirche verlauten. Welche Strafe das sei, teilte die Kirche noch nicht mit.
Wer in Istanbul oder Antalya als Tourist beten möchte und eine orthodoxe Kirche betritt, verstößt gegen den Bannstrahl des Moskauer Patriarchats. Auch auf Rhodos oder Kreta gelte das Verbot. Selbst die Mönchsrepublik Athos in Griechenland ist jetzt auch für russische Männer zur No-Go-Area geworden.
Gläubige der russisch-orthodoxen und griechisch-orthodoxen Kirchen dürfen nicht mehr gemeinsam die Kommunion empfangen und deren Priester keinen gemeinsamen Gottesdienst mehr feiern.
Überworfen haben sich die beiden orthodoxen Kirchenzentren Moskau und Konstantinopel (Istanbul) im Streit um die Oberhoheit für die Ukraine. Die russische Kirche lehnt die von Konstantinopel unterstützte Bildung einer von Moskau unabhängigen autokephalen (eigenständigen) orthodoxen Landeskirche in der Ukraine ab. Sie betrachtet das Land als ihr Territorium und befürchtet, viele Gläubige und Gotteshäuser zu verlieren. Seit 1992 ringen hier eine Kirche des Moskauer und des Kiewer Patriarchats um die Vormachtstellung. Sie unterscheiden sich nur in ihrer Haltung zu Russland, nicht aber theologisch.
Bartholomaios I., Patriarch von Konstantinopel, macht Moskau für die „schmerzhafte Lage in der Ukraine“verantwortlich. Gelingt in der Ukraine jedoch die Wiedervereinigung der orthodoxen Kirche nicht, könnte Bartholomaios I. durch den Konflikt mit Moskau stark geschwächt werden.
Kirche will einig sein, trotz allem
Die orthodoxe Kirche versteht sich trotz ihrer Aufteilung in 14 autokephale Landeskirchen als eine einzige Kirche. Die Vorrechte Konstantinopels wie die Gewährung der Autokephalie sind aber zum Teil umstritten. Wie ein Mantra wiederholt die russisch-orthodoxe Kirche ständig, Bartholomaios I. verstoße gegen das Kirchenrecht und maße sich zu viele Kompetenzen an. Moskau beansprucht für sich ein Vetorecht. Nur im Konsens dürften die Oberhäupter aller 14 Landeskirchen Entscheidungen treffen.
Der Abbruch der Kirchenkontakte kommt keineswegs überraschend. In den 1990er-Jahren hatten Moskau und Konstantinopel bereits über Estland gestritten. Dort hatte sich die orthodoxe Kirche gespalten in einen Teil, der weiter mit Moskau verbunden sein wollte, und einen Teil, der nach Unabhängigkeit strebte.
In der Hitze des Gefechts droht die russisch-orthodoxe Kirche indes, sich selbst zu isolieren. Sie würde damit auch dem Beispiel des russischen Präsidenten Wladimir Putin folgen. „Der Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche wird in Zukunft nur noch zurückgehen“, meint Roman Lunkin Religionswissenschaftler der Russischen Akademie der Wissenschaften. Das würde bedeuten: Nach dem Kreml hat nun auch die Kirche die Ukraine verloren.