Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Industrie muss im Digitalen nachholen
ZU-Studie: Die Umsetzung ist noch nicht so weit wie die Rhetorik des Managements
FRIEDRICHSHAFEN - Die Unternehmen in der Bodenseeregion haben beim digitalen Wandel noch Nachholbedarf. Diesen Schluss legt die Studie „Digitale Transformation in der Bodenseeregion“nahe, die an der Zeppelin-Universität erstellt wurde.
Befragt wurden Vertreter von 31 Unternehmen, von denen die meisten der Maschinenbau-, IT- und der Automobilbranche zuzurechnen sind. 26 der 31 Unternehmen haben ihren Sitz in den Landkreisen Bodensee und Ravensburg. Insgesamt wurden 190 Stunden Interviewmaterial ausgewertet. Das siebenköpfige Wissenschaftler-Team sprach zu 84 Prozent mit Geschäftsführern oder Vertretern der oberen Leitungsebenen der Unternehmen.
Zwar sind 80 Prozent dieser Unternehmen der Ansicht, dass sie von der Digitalisierung profitieren werden, und alle Befragten stimmten der Einschätzung zu, dass die Digitalisierung für ihre Branche eine hohe Bedeutung habe. Gleichzeitig fehlt es aber noch an der konkreten Umsetzung. So ist unter den 31 Unternehmen kaum eines, in dem künstliche Intelligenz betriebsintern genutzt wird – auch nicht bei den Unternehmen der IT-Branche. „Es besteht eine riesengroße Lücke zwischen dem, wie Manager über die Digitalisierung reden und dem, was wirklich in ihren Köpfen ist“, sagt Josef Wieland, Direktor des für die Studie verantwortlichen Leadership Excellence Institute Zeppelin (LEIZ), gegenüber dieser Zeitung. Ein zentrales Problem besteht in der Frage, wie Unternehmen den technischen Wandel in konkrete Produkte und Dienstleistungen umwandeln können. Es liegt nahe, die Digitalisierung betriebsintern zur Kostenersparnis einzusetzen, aber Kostenersparnis ist eben noch kein Geschäftsmodell.
Weitere Probleme bestehen darin, geeignete neue Fachkräfte für den digitalen Wandel zu finden und die bestehenden Belegschaften auf diesem Weg des Wandels mitzunehmen. Auch das Thema Cybersicherheit wird immer wichtiger: Wie können die Unternehmen ihre Daten und die ihrer Kunden vor Missbrauch schützen?
Unternehmen warten ab
Im Sektor Automobilindustrie wurden acht Zulieferbetriebe aus der Bodenseeregion befragt. In den meisten Interviews wurde deutlich, dass die Unternehmen unsicher sind, wie sich die Anforderungen der Kunden lang- und auch mittelfristig verändern werden. Entsprechend beschränken sich die Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung auf einzelne Projekte. „Das Vorgehen ist vorsichtig. Tiefgehende Veränderungen bleiben erst mal außen vor, werden aber vorbereitet“, sagt Maximilian Heisterkamp, der die Studie mitverfasst hat. Aufgrund der Unsicherheit gebe es im Automobilsektor nur wenige starke Innovationen. Um unnötige Risiken zu vermeiden, nehmen die Unternehmen eine abwartende Position ein. Einige der befragten Projektverantwortlichen kritisieren in der Studie, dass sie sich intern die notwendigen Mittel und die Aufmerksamkeit erst erkämpfen müssten, um Entwicklungen vorantreiben zu können.
Ein Drittel der Befragten zählt zur Maschinenbauindustrie. In der Bodenseeregion entwickeln sich diese Betriebe zunehmend zu Softwareanbietern – wobei mehrere Unternehmen berichten, dass intern noch ein Kulturwandel nötig sei, um das Geschäftsmodell stärker auf Software auszurichten. Einige wenige gehen davon aus, dass ihre Unternehmen weltweite Wettbewerbsvorteile haben werden, wenn sie zu ihren Produkten auch einzigartige Software liefern können. 40 Prozent der Unternehmen erwarten sich ein zusätzliches Geschäft durch die Verwendung von Kundendaten. Bei allen befragten Unternehmen ist man überzeugt, dass der eigentliche Maschinenbau weiterhin im Zentrum stehen und sich das Geschäftsmodell durch den digitalen Wandel lediglich erweitern wird.
Die neun befragte Unternehmen der IT-Branche gehen davon aus, dass die Kunden die Software künftig nicht mehr kaufen werden, sondern lediglich für ihren Gebrauch bezahlen. „Gelagert“werden die Programme dabei auf Abruf in der Cloud. Außerdem soll neue Software gezielt mit den einzelnen Kunden entwickelt werden. Damit verbunden ist auch eine Konfiguration bestehender Programme, die individuell auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind.
Für die Zeppelin-Universität war die Vorstellung der Studie zugleich der Startschuss für den Aufbau des Bodensee-Innovationsclusters. Es soll Forschungseinrichtungen und Technologieunternehmen zusammenführen und sich mit den Herausforderungen befassen, die sich den Unternehmen angesichts der digitalen Transformation stellen.
Die Studie ist im Internet einsehbar unter