Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die 100 000-Kilo-Diät
Spanische Kleinstadt macht kollektive Schlankheitskur
Wir sind keine Stadt der Dicken“, sagt Naróns Bürgermeisterin Marián Ferreiro. „Sondern wir sind ein ganz normaler Ort, wo es, wie in jeder anderen Stadt auch, Probleme des Übergewichts gibt.“Aber Narón ist die erste spanische Stadt, die ihren Bürgern eine kollektive Schlankheitskur verschrieben hat, um ein paar überschüssige Kilo zu verlieren – ganz nach dem Motto „gemeinsam geht es besser“.
Das Rezept scheint zu funktionieren: Tausende Menschen machen mit. Und sie sorgen dafür, dass sich die Stadt am Atlantik zum Vorreiter Spaniens und zu einem Modell für Europa entwickelt.
Die Latte wurde in der Kleinstadt am Atlantik, in der 39 000 Einwohner leben, hoch gehängt: Die Menschen sollen dazu motiviert werden, im Laufe von zwei Jahren rund 100 000 Kilogramm abnehmen – zusammengerechnet natürlich.
Gesundheitsexperten im Rathaus schätzen, dass rund ein Drittel der Bevölkerung zu viel auf den Rippen hat. Wenn also jeder Übergewichtige es schaffen würde, im Schnitt zehn Prozent leichter zu werden, sei ein wichtiger Schritt zu einem gesünderen Leben getan, heißt es.
Schon seit Jahresanfang läuft in Narón, das rund 600 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Madrid in der Region Galicien liegt, die Abnehmkampagne unter dem Titel „100 000 gewichtige Gründe“. Mit ersten Erfolgen: Rund 4000 übergewichtige Bürger machen inzwischen mit. Zum Beispiel Teresa Rodríguez, die in den letzten Monaten 13 Kilo verlor. „Ich wog vorher 82 Kilogramm und jetzt sind es nur noch 69“, berichtete sie dieser Tage im lokalen Radiosender. „Und ich fühle mich nun sehr viel besser.“
Auch Bürgermeisterin speckt ab
Sogar die 41-jährige Bürgermeisterin Ferreiro stellte sich öffentlichkeitswirksam auf die Waage und verkündete anschließend, dass die angezeigten 75 Kilo Gewicht zu viel seien. Seitdem probiert auch sie das schlichte, aber effektive Schlankheitsrezept aus, das im städtischen Gesundheitszentrum allen übergewichtigen Patienten verordnet wird: gesünder Essen mit einer kalorienbewussteren Ernährung und wenigstens eine Stunde Bewegung am Tag.
Die Idee zu diesem Massenexperiment hatte der Hausarzt Carlos Piñeira. Er nahm sich vor, den Bürgern seiner Stadt ein gesünderes Leben zu verschaffen und der sich ausbreitenden Fettleibigkeit gegenzusteuern. Das bringe den Menschen mehr Lebensqualität, sagt er. Und es helfe zugleich den Patienten wie dem Gesundheitssystem, Kosten für teure Behandlungen zu sparen. Er erinnert daran, dass die Bekämpfung des Übergewichts, eine der Hauptursachen für Herz- und Kreislaufprobleme, bei der Krankheitsvorbeugung eine entscheidende Rolle spiele.
Der Schlüssel zum Erfolg sei dabei die „gemeinsame Herangehensweise“, glaubt der Arzt. Also keine einsamen Abmagerungskuren, sondern kollektive Aktionen zusammen mit anderen Betroffenen. Piñeira sorgte dafür, dass sich seine Patienten täglich zum Walking, Wandern, Tanzen, zur Gymnastik oder anderen Aktivitäten treffen. Das Rathaus und Vereine flankieren die Kampagne mit Sport-, Ernährungs- und Diätkochkursen. Sogar die Restaurants machen mit und haben nun „schlanke Menüs“auf der Karte. „Wenn man gesund isst, schmeckt es noch besser“, proklamieren die Küchenchefs.
Schon die Kleinen lernen nun in Náron in Kindergärten und Schulen, wie man Übergewicht vermeidet. Die Hoffnung ist, dass die Kinder dann auch ihre Eltern dazu bringen, bewusster zu leben. Dabei wird nicht nur die Theorie gelehrt, sondern auch die Praxis: In der öffentlichen Jorge-Juan-Schule etwa gibt es neuerdings täglich wenigstens eine Schulstunde Sport. In der großen Pause werden Lehrer und Schüler zu Bewegung angehalten, etwa mit Spaziergängen an die nahe Meerespromenade. Zudem schaffte die Schule Heimtrainer an, um eine neue sportlich-kulturelle Kombiaktivität zu fördern: „Lesen und Radfahren“.
Experten und TV-Teams aus ganz Europa pilgern inzwischen nach Narón. Sie alle wollen Spaniens gesündeste – und vielleicht bald auch schlankeste – Stadt besuchen.