Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Wir wissen, wo es klemmt“
Thomas Goldschmidt vom Stadtmarketing nimmt Stellung zu den Beschwerden von Einzelhändlern
Thomas Goldschmidt nimmt Stellung zu Beschwerden von Einzelhändlern.
FRIEDRICHSHAFEN - Das Stadtforum Friedrichshafen hat Grund zur Freude: Es feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Andererseits wurden kürzlich in einem Artikel der Schwäbischen Zeitung Klagen der Einzelhändler in der Häfler Innenstadt über ihre Geschäftsbedingungen laut.
Thomas Goldschmidt, Geschäftsführer der Stadtmarketing Friedrichshafen GmbH, nimmt im Gespräch mit Martin Hennings und Harald Ruppert zu dem Thema Stellung. Außerdem spricht er über die zukünftige inhaltliche Ausrichtung von Stadtforum und Stadtmarketing.
Die Berichterstattung der SZ über die Lage des Einzelhandels in der Stadt hat für Wellen gesorgt - auch bei den Lesern. Hat Sie die Kritik der von uns befragten Einzelhändler überrascht oder geärgert?
Wir wissen, wo es klemmt. Deshalb haben wir uns für 2019 einige Themen vorgenommen. Sie setzen genau bei den kritisierten Punkten an. Wir nennen es „Charme-Offensive Innenstadt“- weil es um mehr geht als nur Aufenthaltsqualität. Es geht auch darum, schön gestaltete Plätze zu beleben. Eine schöne Hülle allein reicht nicht. Wir setzen auf ein ganzheitliches Konzept, zusammen mit der Stadt. Dazu gehört auch der Branchenmix, zusätzliche gastronomische Angebote – immer mit der Einschränkung, welche Handlungsmöglichkeiten wir auf einem Feld überhaupt haben. Uns hat im Bericht der Schwäbischen der Rahmen gefehlt: Können wir bei den Problemen vielleicht bundesweite Trends beobachten? Im Handel ist es insgesamt sehr schwierig. In anderen Städten erscheinen ebenfalls Schlagzeilen wie „Traditionsgeschäfte schließen“. Es gibt Rahmenbedingungen, vor denen wir auch hier nicht gefeit sind. Aber es gibt durchaus viele Leute, die Mut haben und Geld investieren wollen. Wir hatten in den letzten zwölf Monaten rund 15 Geschäftseröffnungen. Aber wenn man den Standort zerredet, kann das solchen Leuten den Mut nehmen.
Beim Branchenmix in der Innenstadt gibt es Probleme ...
Der ist ganz klar optimierbar. Es gibt Lücken, die schon im Einzelhandelskonzept 2013 festgestellt wurden auch, was Aufenthaltsqualität angeht. Es stellt sich die Frage, welche Branchen wünschenswert sind und welche sich wirtschaftlich noch travon gen. Für manches ist die Zeit in der Innenstadt abgelaufen. Wenn jemand ein Pelzfachgeschäft wünscht, ist das eine Branche, die allgemein kaum noch existent ist.
Welche Branchen fehlen in der Innenstadt?
Der sportive Bereich. Damit meine ich nicht nur Sportfachgeschäfte; zum Outdoorbereich gehört ja noch viel mehr. Wir könnten in diesem Bereich noch etliche Quadratmeter vertragen. Durch die Schließung des Sportgeschäfts Baur-Schlegel und den Wegzug von Sport Schmid hat das noch zugenommen. Wir haben auch Bedarf an Herrenmode und an Geschenkartikeln. Mehrere Händler haben sich an Blumen versucht, an verschiedenen Standorten in der Innenstadt. Aber wir haben starke Blumenhändler außen herum. Und es gibt die Blumen auf dem Wochenmarkt. Das erschwert die Belegung eines solchen Sortiments. Ähnlich ist es mit Fisch. Auch diesen Bedarf decken viele auf den Wochenmärkten. Für manche Branchen hat Friedrichshafen vielleicht keinen darauf spezialisierten Laden - aber es gibt das Sortiment dafür. Für Feinkost etwa Bio am See und Edeka Baur.
Ist es möglich, die Leute von der gut frequentierten Seepromenade in die Innenstadt zu lenken?
Das ist schwierig. Das war eine Aufgabe im Uferparkgesamtkonzept, die das Stadtforum in der Bürgerbeteiligung mit reingebracht hat. Wie kann man den Platz am Parkhaus am See so gestalten, dass die Leute nicht nur den Schwenk zum See machen? Außerdem sollten die Durchgänge der Seestraße in die Karlstraße so belebt werden, dass die Leute sie auch nutzen. Das funktioniert bei den Schlemmermarktfesten auf dem Adenauerplatz, wenn dazu Musik geboten wird. Das hören die Leute an der Promenade und gehen durch den Durchgang.
Was funktioniert noch?
Der See. Das ist auf der einen Seite ein Segen. Er zieht viele Leute an, auch die Tagestouristen – mit der Problematik, dass die Frequenz von Oktober bis März für die Einzelhändler spürbar zurückgeht. Wir hatten eine enorm starke Tourismussaison. Aber die Herausforderung für alle am Bodensee ist es, das Thema Saisonverlängerung hinzukriegen.
Gibt es im Handel den Konflikt zwischen Bodenseecenter und Innenstadt noch?
Aus unserer Sicht verträgt sich beides. Wir haben im Bodenseecenter Geschäfte, die in der Innenstadt nie Platz fänden – etwa den Media Markt. Beim Einzelhandelskonzept kam heraus, dass viele Kunden Bodenseecenter und Innenstadt nutzen. Umgekehrt wissen wir zugleich von Einzelhändlern, die an beiden Standorten Läden haben, dass es sich um unterschiedliche Kundengruppen handelt, die einander nicht wehtun. Es ist für den Gesamtstandort Friedrichshafen wichtig, einen Ort für große Betriebsformen zu haben.
Hat sich die Situation des Einzelhandels grundsätzlich verbessert oder verschlechtert?
Wichtig ist die sogenannte Zentralitätskennziffer. Sie drückt aus, wie viel Umsatz ein Standort bieten kann. Ein Wert von 100 bedeutet, man kann so viele Leute binden, wie der Standort selbst hat. Über 100 heißt, es kommen externe Kunden hinzu. Von 2016 auf 2017 ist der Wert für Friedrichshafen leicht gestiegen, von 129,6 auf 131,1. Das heißt, Friedrichshafen zieht Leute an. Es fließt nach wie vor Kaufkraft zu. Klar, Ravensburg hat einen Wert von mehr als 160. Aber im gesamten Gebiet Bodensee-Oberschwaben gehören wir zu den Top Five.
20 Jahre Stadtforum sind ein Beweis, dass diese Organisation nötig und sinnvoll ist. Gab es mal Überlegungen, die Organisation abzuschaffen oder zu modifizieren?
Überhaupt nicht. Das Stadtforum wächst langsam, aber kontinuierlich. Es kommen neue Mitglieder hinzu. Das sind meistens Geschäfte, die neu aufmachen und froh über die erfahrene Unterstützung sind. Das Stadtforum hat 115 Mitglieder. 35 davon arbeiten aktiv in Projektgruppen oder im Vorstand mit. Ein Drittel – das ist viel für einen Verein. Einige unserer Mitglieder sind allerdings Verbände, die selbst wieder Unternehmen repräsentieren. Deshalb können wir sagen, dass das Stadtforum über 300 Unternehmen repräsentiert.
Was werden die künftigen Schwerpunkte von Stadtforum und Stadtmarketing sein?
Die Charme-Offensive Innenstadt. Die Innenstadt ist ein Handlungsschwerpunkt mit verschiedenen Themenfeldern: Stadtbild mit Qualität, Wohlfühlatmosphäre, belebte Plätze schaffen und die Plätze auch bespielen. Ein zweiter Schwerpunkt wird die Stärkung der eigenen Identität sein: das Selbstbewusstsein der Häfler zu stärken. So dass ein Bürgerbewusstsein wie in anderen Städten entsteht. Auch die Erreichbarkeit der Innenstadt mit allen Verkehrsmitteln vorne zu halten, ist wichtig. Dabei spielen auch Fußgänger und Radfahrer eine große Rolle.
Was würden Sie sich fürs ZollhausAreal wünschen? Machen Wunschträume Sinn, wenn dort ein Investor bauen sollte, der seine Interessen durchsetzt?
Ich denke, dass die Stadt Gutes im Sinn hat. Es ist die Rede davon, einen Wettbewerb zu machen. Darin kann man vorgeben, in welche Richtung gedacht werden soll. Man muss überlegen, welcher Mix da reinkommen soll und dann die entsprechenden Flächen zur Verfügung stellen. Schafft man besser eine große Gewerbefläche oder mehrere kleine? Wenn man eine große Fläche baut, ist die Gefahr groß, dass sie leer steht, weil es dafür kaum noch Konzepte gibt, die sie belegen. Deshalb werden sich Stadtforum und Stadtmarketing gerne mit ihrer Expertise einbringen.
Warum ist da noch nichts passiert? Der Zeitplan war doch eigentlich ein anderer.
Die Stadt weiß um die Bedeutung des Areals. Es ist neben dem Hinteren Hafen eine der zentralen Entwicklungsflächen für die Innenstadt. In beiden Fällen geht Qualität vor Geschwindigkeit.