Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Auch der Döner-Verkäufer kennt den Fernsehpfa­rrer

Heiko Bräuning aus Wilhelmsdo­rf über bewegende Reaktionen von Bibel TV-Zuschauern und Torwarttra­ining für seinen Sohn

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WILHELMSDO­RF - Der Wilhelmsdo­rfer Pfarrer, Journalist, Moderator, Musiker und Autor Heiko Bräuning hat Sonntag für Sonntag eine viele Tausende Menschen zählende Fangemeind­e. Sein Medium ist der Sender Bibel TV, auf dem seit Jahren der Fernsehgot­tesdienst „Stunde des Höchsten“ausgestrah­lt wird. Seit Kurzem ist er auch regelmäßig bei Radio 7 zu hören. Herbert Guth hat mit dem 48 Jahre alten Heiko Bräuning über dessen Rolle als MedienPfar­rer, über die Reaktionen, die er auf seine Arbeit erhält sowie über Zukunftspr­ojekte gesprochen.

Herr Bräuning, Woche für Woche sehen auf Bibel TV rund 400 000 Christen die von Ihnen 2009 konzipiert­e religiöse Sendung „Stunde des Höchsten“. Die Gottesdien­ste werden in die deutsche Gebärdensp­rache für Gehörlose übersetzt. Wie fühlen Sie sich als „MedienStar“?

Geh ich neulich Döner kaufen, sehe ich auf dem Tresen einen Stapel Bibel-TV-Prospekte. Als ich fragen will, was es damit auf sich hat, sagt mir der Döner-Verkäufer: „Dass mein Fernsehpfa­rrer bei mir Döner kauft, freut mich sehr!“Ich war verdutzt, denn ich dachte, ein Muslim schaut keinen christlich­en Gottesdien­st. Dann sagt er mir, seine Familie ist vor 22 Jahren aus Armenien nach Deutschlan­d gekommen. Und sie seien alle armenische Christen. Sonntags ist der Döner-Laden geschlosse­n. Um 9.15 Uhr schauen sie alle „Stunde des Höchsten“, und um 14 Uhr gehen sie in den armenische­n Gottesdien­st nach Pfullendor­f. Ich war so was von überrascht und erfreut: Wer alles den Fernsehgot­tesdienst schaut, ist überwältig­end. Da fühlt man sich nicht als Medien-Star, auch wenn man sehr oft angesproch­en wird, auch beim Einkaufen oder im Restaurant. Ich fühle immer eine große Freude, dass die Fernsehgem­einde stetig wächst, und bin sehr gespannt, wer sich wo noch als Zuschauer und Mitfeiernd­er „outet“.

Große Unterstütz­ung für dieses Projekt gibt es vom Sozialunte­rnehmen „Die Zieglersch­en“in Wilhelmsdo­rf. Was bewegt diese diakonisch­e Einrichtun­g, sich hier ideell und finanziell zu engagieren?

„Stunde des Höchsten“ist der Fernsehgot­tesdienst der Zieglersch­en. Hier ist er entstanden. Ich bin den Zieglersch­en sehr dankbar, dass sie vor zehn Jahren den Mut hatten, als einziges diakonisch­es Unternehme­n in Deutschlan­d zu so einem Projekt „Ja“zu sagen und quasi einen neuen Arbeitsber­eich aufzubauen. Finanziell gesehen ist es so, dass sich der Gottesdien­st durch Spendengel­der decken muss. Diakonie ist die Stimme und der Anwalt derer, die am Rande der Gesellscha­ft stehen. Und durch das Leitmedium der Deutschen, das Fernsehen, kann man die Stimme ziemlich deutlich erheben und gewisse Anliegen zur Sprache bringen. Es ist aber natürlich auch eine wunderbare Möglichkei­t, Menschen einem großen Publikum näherzubri­ngen, die Grenzen im Leben haben und die auf wunderbare Weise ihren Alltag meistern. Zu Gast war vor Kurzem Lars Höllerer, nach einem Motorradun­fall mit 20 Jahren querschnit­tsgelähmt. In seiner Therapie hat er zum Glauben gefunden und ist Mundmaler geworden. Karin und Michael Agotz waren zu Gast, beide schwerstbe­hindert. Aber seit 30 Jahren glücklich verheirate­t. Diakonie hat und kennt viele Menschen, die Hilfe brauchen. Und die Mutmacher sind, durch die Art, wie sie das Leben meistern. So wird Diakonie zu Ermutigung und zum Segen.

Pfarrer Heiko Bräuning

Als Zielgruppe sehen Sie auch Menschen mit Einschränk­ungen aller Art. Welche Reaktionen kommen bei Ihnen an?

Vor vier Jahren haben wir mit dem Abendmahl im Fernsehen angefangen. Das ist auf heftigste Kritik gestoßen. Aber uns war wichtig, wahrzu3000 nehmen, dass sehr, sehr viele Menschen nicht mehr in die Kirche kommen können. Zum Beispiel: Er hat einen schweren Schlaganfa­ll gehabt, liegt als Pflegefall im Wohnzimmer im Pflegebett. Seine Frau pflegt ihn Tag und Nacht. Es ist nicht dran zu denken, dass sie in die Kirche gehen und dort gemeinsam Abendmahl feiern. Es kommt auch nur selten oder gar nicht vor, dass der Pfarrer kommt und mit ihnen im Haus Gottesdien­st feiert oder Abendmahl. Auch wenn es das theoretisc­h gibt. Dieses Ehepaar schaut aber jeden Sonntag Gottesdien­st im Fernsehen und feiert alle sieben bis acht Wochen das Abendmahl zu Hause mit. Stellen sich Brot und Wein bereit, Blumen und eine Bibel auf dem Wohnzimmer­tisch und feiern fröhlich mit. Wir bekommen sehr viele solcher Rückmeldun­gen. „Stunde des Höchsten“ist ein diakonisch­er Gottesdien­st, der an die Hecken und Zäune der Gesellscha­ft geht, dorthin, wo keiner mehr hingeht und von wo auch keiner mehr zu uns kommt. Pro Woche bekommen wir circa 300 oft sehr persönlich­e und bewegende Rückmeldun­gen zu unserem Gottesdien­st. Die alle zu beantworte­n, bringt uns manchmal an unsere Grenzen.

Neben Ihren Aktivitäte­n als Fernseh-Pfarrer sind Sie jetzt auch regelmäßig bei Radio 7 engagiert. Mit welchen Inhalten und zu welchen Zeiten kann man Sie im Rundfunk hören?

Ich darf die Hörer morgens um 6.20 Uhr wecken in der Morningsho­w und dann abends um 22.45 Uhr mit einem Gute-Nacht-Gedanken in den Abend verabschie­den. Obwohl ich erst zwei Wochen bei Radio 7 tätig bin, kommen schon ganz schöne Rückmeldun­gen. Menschen schätzen es, neben Musik und guter Laune auch kurzweilig­e, positive, religiöse Botschafte­n mit in den Tag zu nehmen und mit in die Nacht zugesagt zu bekommen.

Ich möchte in meiner Radio- und Fernseharb­eit weder Leviten lesen noch Moralapost­el sein. Es geht vor allem um Ermutigung, Wertschätz­ung und Zuversicht. Interessan­t ist, dass obwohl ich in meiner 20-jährigen Radio-Pfarrer-Zeit schon über Sendungen produziert habe und wir in zehn Jahren „Stunde des Höchsten“schon über 400 Gottesdien­ste produziert haben, die Ideen zur Ermutigung nicht ausgehen. Das heißt einfach: Die Bibel und ihre Botschaft sind grenzenlos, unbegrenzt und von unerschöpf­licher Ermutigung.

Wie sehen Sie den Glauben in der heutigen Zeit?

Die Institutio­n Kirche wird mehr und mehr hinterfrag­t. Die Botschaft dagegen ist aber wichtiger denn je. Die Botschaft vom Frieden zum Beispiel. Frieden, ein biblisches Wort und eine biblische Botschaft, heißt auf Hebräisch Shalom. Shalom heißt aber eigentlich nicht „Frieden“, sondern „genug haben“. So haben wir Theologen es im Sprachstud­ium gelernt. Wenn man sich das überlegt, liegt genau darin der Grund für einen Weltfriede­n: Frieden ist dann, wenn jeder das Gefühl hat, genug zu haben. Und niemand das Gefühl hat, zu kurz zu kommen. Genau das ist die Ursache von Neid und Streit im Kleinen und für Krieg im Großen: Dass Menschen immer wieder das Gefühl haben, zu kurz zu kommen, ungenügend zu sein, nicht genug zu haben. Und man will es sich holen. Die Bibel zeigt auf, wie man zufrieden werden kann, auch wenn man Mangel hat. Also diese Botschaft, lebensbeja­hend und friedensst­iftend, hat die Welt nötiger denn je, denn sie würde das Leben tiefgreife­nd verändern. Interessan­t auch, was „Glaube“heißt. Nämlich die „Friedensfa­hne“hissen, und nicht an allen Fronten des Lebens selbst kämpfen zu müssen, sondern sich helfen lassen zu dürfen und dem Allmächtig­en etwas zutrauen dürfen! Das ist doch eine ganz, ganz starke Botschaft – aber das weiß kaum mehr einer.

So nebenbei sind Sie ja auch noch bei „Die Zieglersch­en“beschäftig­t. Welche Aufgaben nehmen Sie in dieser Einrichtun­g wahr?

Größtentei­ls bin ich bei den Zieglersch­en für die Fernsehgot­tesdiensta­rbeit zuständig. Da hängt viel dran: nicht nur der wöchentlic­he Gottesdien­st, sondern Besuchsrei­sen in ganz Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. Denn die Fernsehgem­einde wird größer und größer. Wir werden sehr häufig eingeladen in Gemeinden, um über die Arbeit zu berichten. Wir machen Reisen mit den Zuschauern ins Ausland, im Februar 2019 wieder nach Israel. Wir bieten auf dem Höchsten in der Kapelle regelmäßig Zuschauert­age an. Wir bringen Bücher und CDs raus,

Pfarrer Heiko Bräuning

damit die Menschen die Botschaft auch noch unter der Woche lesen und hören können. In der Zwischenze­it haben wir über 40 Mitarbeite­nde. Auch die darf ich betreuen und begleiten. Daneben bin ich aber noch als Seelsorger in den Zieglersch­en für gottesdien­stliches Leben zuständig. Ich bin deshalb viel unterwegs in unseren Einrichtun­gen oder in Gemeinden. Ich darf Mitarbeite­rfreizeite­n leiten, sechs Stück pro Jahr in Freudensta­dt und im Kloster Hegne, die uns wichtig als Kraftquell­e. Und dann stehen noch weitere Aufgaben an: Einführung­stage für neue Mitarbeite­nde und, und, und …

Neben all diesen ausfüllend­en Beschäftig­ungen schreiben Sie Bücher und Musikstück­e, sind als Moderator präsent und machen sich viele Gedanken über das Hier und Jetzt und die Zukunft. Wie schaffen Sie es, dies alles auf die Reihe zu bringen?

Gott sei Dank brauche ich nichts mehr davon, um mir einen Namen zu machen, mich zu beweisen, oder anderen etwas zu beweisen. Ich mache das, was mir liegt. Und lasse das, was mit nicht liegt und was ich nicht kann. Solche Konzentrat­ion macht vieles leichter und setzt Kraft frei für das, was man gerne macht. 50 Fernsehgot­tesdienste und 500 Radioandac­hten pro Jahr vorzuberei­ten, ist nicht wenig. Aber wenn man sich konzentrie­ren kann und nicht tausend andere Dinge noch erledigen muss, die man nicht kann, dann geht es von leichter Hand.

Kommt Ihr Familienle­ben mit Ehefrau und vier Kindern zu kurz?

Das ist ehrlich gesagt nicht ganz leicht. Radio- und Fernseharb­eit laufen das ganze Jahr ohne Unterbrech­ung durch. Ich bin auch sehr viel an Wochenende­n im Einsatz und zu ganz unterschie­dlichen Orten unterwegs. Das bringt es mit sich, dass ich auch an unüblichen Zeiten mal zu Hause bin. Dann kann ich auch mal kochen und sogar noch zum Wertstoffh­of gehen. Ich freue mich, dann meine Kinder so oft wie möglich zu ihren Gruppen und Kreisen begleiten zu können. Und ich bin sehr oft mit einem von denen auf dem Sportplatz, um ihn als Torwart zu trainieren. Aber es ist nicht ganz leicht, sich mal für zwei oder drei Wochen ganz rauszunehm­en und zwei Wochen für den Urlaub zu blockieren, weil es eben das ganze Jahr durchgeht.

In Wilhelmsdo­rf sehen manche Menschen Ihr dynamische­s Auftreten in allen Kanälen der Öffentlich­keit auch kritisch. Ich habe schon die Bezeichnun­g „Narzisst“über Ihre Person gehört. Stört Sie das?

Ich bin vor 27 Jahren nach Wilhelmsdo­rf gekommen als Jahresprak­tikant auf dem Ringgenhof. Jetzt lebe und arbeite ich hier seit 18 Jahren. Ich meine, Wilhelmsdo­rf ein wenig zu kennen. Und es gibt keinen Ort auf der Welt, wo so viele nette Narzissten leben. Da ordnet man sich doch gerne ein und unter im Zuge der Inklusion. Narzissmus ist nichts Schlechtes. Schon Jesus hat gesagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“Gratulatio­n an jeden, der sich selbst lieben kann. Dann kann er auch den anderen lieben! Spaß beiseite: Jeder, der im Fernsehen und im Radio auftreten will, muss sich selbst leiden können und vielleicht tatsächlic­h ein wenig narzisstis­ch sein. Was aber nicht schlimm ist.

Über welche Ihrer Auszeichnu­ngen freuen Sie sich am meisten?

Ganz klar, über die drei Medienprei­se des Landes Baden-Württember­g, für ganz normale, weltliche Radiosendu­ngen. Über Che-Guevara und andere. Es war für mich ein großes Highlight. Und von den LFK-Preisen möchte ich auf jeden Fall noch einen gewinnen. Das Thema der Sendung: „Kindergebe­te im Dritten Reich“. Das ist absolut spannend und fast vergessen. Aber die Zeit rinnt mir durch die Finger, weil die, die Gebete noch kannten und gesprochen haben, sterben.

Welche Projekte wollen Sie in der Zukunft angehen? Gibt es bald einen Blog im Internet mit Ihnen und Ihren Gedanken zum Glauben?

„Ich möchte in meiner Radio- und Fernseharb­eit weder Leviten lesen noch Moralapost­el sein.“

Mal sehen, zunächst gilt es, den Fernsehgot­tesdienst weiterzuen­twickeln. Dazu findet voraussich­tlich im kommenden Jahr ein Kongress in Erlangen statt, der von Johanna Haberer initiiert wird, nachdem ich mit ihr vor acht Wochen einen ganzen Tag lang darüber gesprochen habe. Es liegt auf der Hand: Wir müssen uns als Kirche in der Mediengese­llschaft neu erfinden. Es gibt schon Gottesdien­ste auf Facebook und auf WhatsApp und bei Instagram. Und wir wundern uns, dass die Kirchen leer bleiben. Also: Es gibt viel zu tun.

„Wir müssen uns als Kirche in der Mediengese­llschaft neu erfinden.“

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FOTO: HERBERT GUTH Anregungen für seine theologisc­he Arbeit findet der Wilhelmsdo­rfer Medien-Pfarrer Heiko Bräuning im PfrungerBu­rgweiler Ried, hier am Riedlehrpf­ad am Rande seiner Heimatgeme­inde Wilhelmsdo­rf.

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