Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
B 30-neu: Es läuft auf die Osttrasse hinaus
Mehr als 500 Zuhörer bei Infoabend – Artenschutzrechtliche Belange sprechen gegen „West“und „Mitte“
MECKENBEUREN - Es läuft auf die Osttrasse als Umfahrung von Meckenbeuren hinaus – das ist bei dem B 30-Infoabend am Dienstagabend in Brochenzells Humpishalle deutlich geworden. Das Interesse an der Veranstaltung des Regierungspräsidiums Tübingen (RP) war riesig: Die 484 Stühle reichten bei Weitem nicht aus, wohl an die 550 Interessierte dürften es letztlich gewesen sein.
Bei dem von Ralf Eggert moderierten zweieinhalbstündigen Abend informierten das B 30-Planungsteam sowie die Gutachter über den aktuellen Stand der Planung. Begrüßt wurden sie von Meckenbeurens Bürgermeisterin Elisabeth Kugel, die am großen Besuch festmachte, wie „die nahezu unendliche Geschichte um die B 30-neu die Menschen hier und die Region bewegt“.
In klar formulierten Thesen brachte sie konkrete Vorschläge zur Weiterarbeit vor – was ihr von Klaus Tappeser die Einstufung als „mutige Rede“einbrachte. Der Regierungspräsident wollte mit seiner Anwesenheit bekunden, dass ihm das Projekt „sehr am Herzen liegt“. Die bisherigen 40 Jahre der Planung „sind zu lang“, bekannte er, skizzierte aber zugleich die Gründe – dass es über Jahre nicht genügend Geld für das Straßenbausystem gegeben habe, mit der Folge: Die Kapazitäten seien bei Planern, Büros und Firmen abgebaut worden – und jetzt brauche man die Leute.
„Ich lege großen Wert darauf, dass es schneller geht“, war eine Zusage. Eine andere bezog sich darauf, dass der Flächenausgleich für den Straßenbau „nicht in der unmittelbaren Umgebung“erfolgen müsse – „wir drehen sonst der Landwirtschaft den Kragen ab.“Vielmehr gelte es, „sehr, sehr sorgsam“mit den landwirtschaftlichen Flächen umzugehen, so Tappeser.
Matthias Kühnel umriss dann als stellvertretender Leiter des Referats Straßenplanung im Regierungspräsidium den aktuellen Planungsstand. „Wir wollen die Durststrecke von zwei Jahren nicht mehr so lang halten“, sagte er zu, wobei in dieser Zeit „intensiv gearbeitet“worden sei.
In den Variantenvergleich stieg dann Claus Kiener von Modus Consult Ulm mit Blick auf den Verkehr und einer aktuellen Erfahrung ein: „20 Minuten vom Rathaus bis zur Halle“habe er gerade eben gebraucht.
Im Fazit und nach einer Fülle an Zahlen konnte Kiener keine eindeutige Empfehlung geben – „verkehrlich gleichwertig“nannte er die Varianten „West“, „Mitte“und „Ost“.
Die Umweltbelange stellte Burchard Stocks vom Büro für Umweltsicherung und Infrastrukturplanung aus Tübingen vor. „Der Mensch steht im Fokus“, unterstrich er: Keineswegs sei es so, „dass wir uns nur um Tiere und Pflanzen kümmern“. Stocks wies auf die seit 2007 veränderte Lage hin, mit strikt zu beachtenden gesetzlichen Vorgaben (Artenschutz/Natura 2000), die eine Abwägungsentscheidung nicht mehr zuließen. Dahinter steckt Paragraf 44 des Bundesnaturschutzgesetzes, von dem es laut Paragraf 45 nur Ausnahmen geben könne, wenn bestimmte enge Rahmenbedingungen eingehalten sind. Zu diesen zählt das Fehlen zumutbarer Alternativen – was bei „West“oder „Mitte“aber nicht gegeben sei, da „Ost“ja eine Option biete. Daher seien „West“wie „Mitte“nicht genehmigungsfähig.
Bei den Artengruppen schienen als entscheidungserhebliche Fälle bei „West“Grauspecht, Fledermäuse,
Haselmaus und Gelbbauchunke auf. Hier sei auch kein ausreichender Ansatz für einen Funktionserhalt gegeben – selbst wenn die 32 Millionen Euro Zusatzkosten für Grünbrücken oder Lärmschutzwände einberechnet werden. Die maßgeblichen Konflikte bereinige dies nicht, so Stocks.
Neben der Gesetzeslage führte er vier weitere Aspekte ins Feld, die für die Umwelt von Belang seien. Sie reichten bei „West“von Sekundärfolgen für die Waldbestände westlich der Schussen (Windwurfgefährdung) bis zum Retentionsvermögen der Landschaft.
Bei all dem bekannte er klar: „Die Landwirtschaft muss bei „Ost“erheblich Federn lassen.“Die Frage, ob „Ost“zumutbar sei, stand unter den Aspekten: „In welchem Umfang ist die Landwirtschaft betroffen? In welcher Art und Weise ist die Bevölkerung betroffen?“Als Vorteil von „Ost“wurde genannt, dass die Trasse die Funktion der Landesentwicklungsachse stütze – und damit vorhandene wie künftige Entwicklungsschwerpunkte in der Raumschaft.
In der Zusammenschau der Umweltnutzungen Land- und Forstwirtschaft lautete ein Argument, dass ein Waldausgleich (etwa im Falle „West“) zulasten der Landwirtschaft gehe. Die Gesamtbetroffenheit der Landwirtschaft wiege etwa durch Ersatzaufforstungen bei „West“gar schwerer als bei „Ost“.
Fünf Wortmeldungen gab es im Diskussionsteil. So gab Manuel Bucher ein Statement ab, in dem er die Bedenken gegen „West“unbegründet nannte. „Da ist mir vieles zu vage“, fehlten ihm Beweise, sodass er die Möglichkeit zur Abwägung sah.
Die Gegenrede kam von Tappeser („sollten vermeiden, eine Ehrenrunde zu drehen“) wie Stocks. Zu Artenschutz und Natura 2000 werde man „umfangreiche Berichte vorlegen“, kündigte er an. Das Primat habe die Rechtssicherheit.
Die letzte Frage lenkte den Blick auf die Kosten: Mit 108 Millionen Euro wurden sie bei „West“beziffert (inklusive Querspange Tettnang und artenschutzrechtlichen Maßnahmen: 159 Millionen), bei „Mitte“auf 131 (mit Weiterungen: 152 bis 167 Millionen) und bei „Ost“auf 164 Millionen Euro.
Das Schlusswort kam Bruno Walter zu. „Es grüßt die Kirchturmpolitik“, war für Tettnangs Bürgermeister aus den Wortmeldungen spürbar. Doch: „Nur Einigkeit macht am Ende stark“, zeigte er sich sicher und forderte: „Es müssen Taten statt Worte folgen“, sonst stünde man in 20 Jahren immer noch gleich da.
Im Anschluss war es möglich, sich vor den Stellwänden mit Vertretern des Planungsteams auszutauschen – was wahrgenommen wurde.
„Es gibt keine konfliktfreie Lösung“
plädiert Matthias Kühnel dafür, Kompromisse aufzugreifen