Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Hessen-Wahl mit Nebenwirkungen
Volksparteien CDU und SPD drohen herbe Verluste – Unruhe in der Koalition in Berlin
WIESBADEN/BERLIN - Vordergründig geht es am Sonntag bei der Landtagswahl um die Macht in Hessen, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Spannung herrscht nicht nur in Wiesbaden, sondern auch in Berlin. Denn vom Ergebnis des Urnengangs hängt womöglich die Zukunft der Großen Koalition und jene der beiden Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU) und Andrea Nahles (SPD) ab. Nach den letzten Umfragen droht den früheren Volksparteien in Hessen ein ähnliches Debakel wie zuletzt in Bayern: Der CDU von Ministerpräsident Volker Bouffier und der SPD unter Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel drohen historisch schwache Ergebnisse. Entsprechend groß ist die Nervosität in den Parteizentralen von CDU und SPD.
Laut aktuellem ZDF-Politbarometer käme die CDU auf 28 Prozent und würde damit rund zehn Prozentpunkte im Vergleich zu vor fünf Jahren einbüßen. Die SPD würde ähnlich stark verlieren und nur noch bei 20 Prozent landen, gleichauf mit den Grünen, die ihr Ergebnis von 2013 womöglich fast verdoppeln könnten. Zu den Gewinnern dürfte auch die AfD gehören, die die Demoskopen bei 12 Prozent und erstmals im Landtag sehen. FDP und Linke liegen bei 8 Prozent, waren bei der letzten Landtagswahl nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen.
Die bisher regierende schwarzgrüne Koalition stünde somit auf der Kippe. Aktuell möglich wäre eine Jamaika-Koalition der bisherigen Regierungsparteien mit der FDP. Hierfür warb am Freitag Christian Lindner. Dem „Spiegel“sagte der FDPChef, man sei hierfür „gesprächsbereit“. Vorbild müsse aber Schleswig-Holstein sein und nicht „die Methode Merkel“. Im Norden und in Nordrhein-Westfalen regiere die FDP erfolgreich in Koalitionen mit der Union, „wenn die Inhalte stimmen“, sagte Lindner. Eine Koalition mit den Grünen lehnte er strikt ab. „Meine hessischen Freunde haben gesagt, dass sie den Grünen Tarek Al-Wazir nicht zum Ministerpräsidenten wählen. Das Beispiel Baden-Württemberg zeigt, wohin es unter grüner Führung geht: nach unten, etwa bei der Bildung oder den Haushalts- und Wirtschaftsdaten.“
Das Wahlergebnis in Hessen könnte derweil auch Einfluss auf die Berliner Regierung haben. CDU-Generalsekretärin Annegret KrampKarrenbauer hatte unter der Woche bereits Neuwahlen ins Spiel gebracht, falls die Große Koalition nach der Hessen-Wahl zerbrechen sollte. Nahles riet ihrer Partei am Freitag jedoch zur Besonnenheit: „Es ist für die SPD nicht ratsam, übereilt oder gar kopflos zu reagieren.“In Berlin wird dennoch bereits darüber spekuliert, ob nach einem Rückzug der SPD erneut über eine JamaikaKoalition im Bund verhandelt werden könnte. Hierzu sagte FDP-Chef Lindner am Freitag: „Die FDP wird keine Koalition mehr mit Frau Merkel schließen. Das ist klar und beruht sicher auf Gegenseitigkeit.“