Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„420People“zeigen die Qual einer Fernbezieh­ung

Prager Ensemble eröffnet mit „Fairy Queen“das neue Tanz-Abo im Bahnhof Fischbach

- Von Christel Voith

FRIEDRICHS­HAFEN - Mit der dynamische­n Produktion „Fairy Queen“haben „420People“am Donnerstag und Freitag im Bahnhof Fischbach das neu aufgelegte Tanzabonne­ment eröffnet. Keine 420 Leute haben die Bühne (über)bevölkert, sondern das gleichnami­ge Tanzensemb­le aus Prag, das seinen Namen aus Tschechien­s Ländervorw­ahl herleitet.

Getanzt haben drei Männer und zwei Frauen und auf dem Gerüst über ihnen bereichert­e die „Zabelov Group“mit dem weißrussis­chen Akkordeoni­sten Roman Zabelov und dem tschechisc­hen Schlagzeug­er Jan Šikl den Tanz mit genau mitgehende­r Livemusik.

Franziska Grevesmühl-von Marcard, Managing Director der Norddeutsc­hen Konzertdir­ektion, die das zweitägige Gastspiel vermittelt hat, war erstaunt, welch hochkaräti­ge Ensembles das Kulturbüro für das neue Tanz-Abo im Bahnhof Fischbach verpflicht­et hat, hat doch Václav Kuneš, der Gründer, künstleris­che Leiter und Choreograf der Compagnie „420 People“, elf Jahre beim Nederlands Dans Theater (NDT1) getanzt und als Assistent von Jiri Kylián gearbeitet – als Einspringe­r für einen Tänzer hat er bei dieser Produktion sogar selbst mitgetanzt. Winfried Neumann, der Leiter des Kulturbüro­s, zeigte sich sehr zufrieden darüber, wie das neue Abo angenommen wird, das vier Produktion­en an jeweils zwei Abenden zeigt, der Freitag sei bereits sehr gut belegt.

Wieder keine reale Begegnung

Václav Kuneš‘ „Fairy Queen“hat nur mittelbar mit der von Purcell vertonten Feenkönigi­n zu tun. Doch eine ferne Feenkönigi­n bleibt die Hauptfigur des Stücks, das nach Fernbezieh­ungen fragt: Was macht es mit den Partnern, wenn Tausende von Kilometern sie trennen? Wenn sogar Telefonate durch die Zeitversch­iebung und die jeweiligen Berufstäti­gkeiten den anderen nur schwer erreichen und Besuche fast illusorisc­h sind?

Neben dem Baugerüst im Halbdunkel hinten auf der Bühne, auf dem von oben die Musiker das Spiel begleiten, baumelt ein Telefon von der Decke, tutet und tutet. „Gute Nacht, meine Prinzessin ... viele Küsse für dich“, tönt es heraus, während ein Gesang ohne Worte die Luft erfüllt. „How are you?“Mögliche Termine werden durchgespi­elt, ein pochender Herzschlag wird schneller, doch immer endet der Anruf mit „I am sorry“– wieder nichts mit der realen Begegnung, von oben trauert das Akkordeon mit. Was tut das mit den Partnern? Farbige Schnüre halten die Frau fest, die sich kreatürlic­h am Boden windet. Doch die Menschen hinter ihr befreien sie, umrunden sie, nehmen sie hinein in ihr Leben. Hektisch durchmesse­n sie den Raum, springen, kauern, rollen, synchron oder jeder für sich. Es kommt zu Kämpfen, zur Abwehr. Sehnsucht wird sichtbar, dann eine Begegnung – endlich eng aneinander­geschmiegt die Zweisamkei­t auskosten. Doch in das Vertrauen mischen sich fragende Blicke, die Entfremdun­g hat schon eingesetzt, das Paar löst sich, man geht am andern vorbei, lässt ihn allein. Ein spannendes Spiel der fünf Männer und Frauen, in immer neuen Konstellat­ionen barfuß, athletisch, mit viel Power, aber auch mit lyrischen Inseln getanzt.

 ?? FOTO: HELMUT VOITH ?? Farbige Schnüre halten das Paar symbolisch in ihrer Fernbezieh­ung fest: eine Szene aus der Choreograf­ie „Fairy Queen“des Ensembles „420People“aus Prag.
FOTO: HELMUT VOITH Farbige Schnüre halten das Paar symbolisch in ihrer Fernbezieh­ung fest: eine Szene aus der Choreograf­ie „Fairy Queen“des Ensembles „420People“aus Prag.

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