Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Man muss aufpassen, das Leben nicht zu versäumen“
Kinderbuchautor Helme Heine ist auch ein politisch kritischer Weltbürger – Das zeigt eine Ausstellung in München
Nach Deutschland zieht es Helme Heine nur, wenn etwas Wichtiges ansteht wie jetzt eine Ausstellung im Museum Fünf Kontinente in München. Sie zeigt die Kunst der Maori und – so kennt man ihn tatsächlich nicht – Heines Blick auf seine Wahlheimat im Südpazifik. Der 77-Jährige lebt schon seit den 90ern in Neuseeland. Christa Sigg hat sich mit dem Kinderbuchautor unterhalten.
Herr Heine, mögen Sie eigentlich Kinder?
Mit ganz kleinen tue ich mich schwer. Ab drei, vier finde ich sie interessant. Ich hatte das Glück, dass ich durch meine zweite Frau gleich wunderbare ältere Kinder bekam. Man muss Kinder aber nicht lieben, um für sie zu schreiben.
Ist ein gewisser Abstand besser?
Das gilt für vieles, über das man schreibt. Ich bin nicht so extrem wie Beatrix Potter, eine der großen englischsprachigen Kinderbuchautorinnen um 1900. Die war so allergisch gegen Kinder, dass sie die Straßenseite gewechselt hat, wenn ihr eins entgegenkam. Oder denken Sie an Maurice Sendak, der mit den wilden Kerlen berühmt wurde. Er hat Kinder gehasst, sie hätten ja seine wertvolle Mickey-Mouse-Sammlung kaputt machen können.
Warum sind Sie ausgerechnet Kinderbuchautor geworden?
Schuld daran ist eine Wette. Ich habe ja zwölf Jahre in Südafrika gelebt, hatte dort ein eigenes Kabarett, das hieß „Sauerkraut“. Dafür hatte ich schon viele Texte geschrieben und auch viel gezeichnet und gemalt. Als ich einmal ein Kinderbuch kaufen wollte, fand ich nur banale Geschichten. Ich sagte mir, das kann ich besser. Zwei Freunde, die dabei waren, meinten „Na dann mach mal!“.
Aus dieser Nummer kamen Sie nicht mehr raus.
Nein, da wollte ich nicht kneifen. Mir war allerdings sofort klar, dass ich ein Buch mit einer ganz elementaren Thematik machen möchte, eines, das ab etwa vier Jahren verstanden wird, und dann auch Geschwister, Eltern und Großeltern interessiert. So ist 1975 das „Elefanteneinmaleins“entstanden.
Mit dem Altwerden und dem Tod geht das Buch wirklich ans Grundsätzliche.
Das bewegt uns alle. Heute wird das Buch übrigens in Kindergärten und Altenheimen gelesen.
Stört es Sie, dass Sie trotzdem durch die Kinderbuchbrille gesehen werden?
Durch die Kinderbücher bin ich unabhängig geworden, sie geben mir Freiheit und sichern meine Rente. Warum sollte ich mich daran stören? Die deutsche Einteilung in U und E ist mir fremd, dazu habe ich einfach zu lange in angelsächsischen Ländern gelebt. Friedrich Dürrenmatt hat mir mal erzählt, er könne schon deshalb nie den Literaturnobelpreis bekommen, weil er zwei Krimis geschrieben habe.
Sie passen in keine Schublade. Neben Büchern und Kabarett gibt es noch Musicals, Theater, Skulpturen, Filme, Design. Als was würden Sie sich bezeichnen?
Als Lebenskünstler. Ich lebe sehr intensiv.
Woher kommt das?
Durch Afrika, das war die schwierigste Zeit in meinem Leben. Ich bin achtmal ausgeraubt worden, war manchmal bettelarm. Aber ich war immer von Menschen umgeben, die getanzt und gesungen haben und die aus Kleinigkeiten etwas kreieren konnten. Das hat mir Kraft gegeben, mein Leben zu meistern. Das Glück hängt ja nicht von der Größe des Geldbeutels ab. In Afrika bin ich zum Künstler geworden. In München wäre ich vermutlich nicht zum Theater oder Kabarett gekommen.
Sie sind schon wieder auf dem Sprung nach Neuseeland. Das Land ist auch Thema einer Ausstellung mit Kunst der Maori. Wie kam’s dazu?
Das ist eine weitere Seite von mir. Hier blicke ich auf das Land, in dem ich seit 30 Jahren lebe. Die Bilder dieser Ausstellung haben einen deutlichen politischen Unterton mit einer Prise Humor gewürzt. Dennoch sehe ich mich nicht als Tendenzmaler.
Wie in Ihren Büchern spielt auch in den Bildern das Gemeinsame eine Rolle. In diesem Fall von Maori und Pakeha, den Einwohnern mit überwiegend europäischen Vorfahren.
Auf diesen zwei kleinen Inseln im Südpazifik sitzen alle in einem Boot. „Wir sind eine Nation“, lautet das Zauberwort dieses Vielvölkerstaats. Vor 25 Jahren hat mich die Begegnung mit Dame Whina Cooper politisiert. Sie war eine hoch geachtete Symbolfigur für die Rechte der Maori. Whina hat ihre Sorgen ganz einfach auf den Punkt gebracht: „Alle wollen einen Ford Bronco fahren und ein Aluminiumboot mit Außenborder – aber noch so leben wie im 19. Jahrhundert, bevor die Europäer kamen. Das geht nicht.“
Dame Whina ist 1994 gestorben, im selben Jahr hatte der Film „Die letzte Kriegerin“Premiere. Er zeigt dieRealität der Maori mit Alkohol und Gewalt in den Familien.
Ich empfand den Film als heftig, aber meine Maori-Freunde meinten, ja, so isses eben. Trotzdem ist Neuseeland eines der friedlichsten Länder, die ich kenne. Es gibt keine Apartheid, die mich Ende der 1970er-Jahre veranlasst hatte, Südafrika zu verlassen.
Sind Sie ein Abenteurer?
Bis zu einem gewissen Grad schon. 14 Tage im Pazifik mit einer kleinen Jolle sind ein kalkuliertes Wagnis. Aber nach zwei, drei Tagen spielt Geld keine Rolle mehr, man lässt alles hinter sich, auch die Politik ist weit, weit weg. 360 Grad um einen herum nur endloses Wasser.
Fischen Sie?
Sehr gerne sogar!
Und was fangen Sie?
Kingfish, sie sind etwa einen Meter lang und haben ein thunfischähnliches, sehr schmackhaftes, festes Fleisch. Wenn man einen am Haken hat, muss man ihn sehr schnell rausziehen, sonst holen ihn die Haie.
Helme Heine und der weiße Hai?
Haie gibt’s wirklich, aber die greifen dort keine Menschen an. Das Meer ist voller Leckerbissen für sie. Wenn ich erfolgreich war, rufe ich meine Frau an und bitte sie, Freunde einzuladen.
Wir sind schon über der Zeit, und Sie haben kein einziges Mal auf die Uhr geschaut.
Da hat mich Neuseeland geprägt. Die Menschen dort leben im Jetzt, während sich in Europa fast jedes Gespräch um die Zukunft dreht. Dabei muss man aufpassen, das Leben nicht zu versäumen.