Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Drei Döner und eine Ohrfeige
Verfahren vor dem Amtsgericht gegen jungen Mann wird gegen Auflagen eingestellt
FRIEDRICHSHAFEN/TETTNANG Der Kauf dreier Döner in einem Supermarkt am Häfler Bahnhofsplatz ist am 22. Januar dieses Jahres mit einer zerbrochenen Ladentheke geendet. Weil sich Kunde und Mitarbeiter nicht grün waren, versetzte der Verkäufer dem Angeklagten eine Ohrfeige – angeblich, weil dieser ein Messer mit sich führte. Letztendlich stellte Richter Martin Hussels das Verfahren vor dem Tettnanger Amtsgericht gegen Auflagen aber ein.
Angeklagt war der damals 19-Jährige wegen Bedrohung, versuchter Körperverletzung und Sachbeschädigung. So soll es einige Tage zuvor in dem Supermarkt bereits zu Ärger zwischen Kunde und Döner-Verkäufer gekommen sein – angeblich wegen Beleidigungen des Angeklagten. Am besagten Tatabend hatten dieser und zwei Freunde gefeiert, als sie der Hunger ereilte. Nachdem sie ihre Döner-Bestellung aufgegeben hatten, soll der Verkäufer auf den Angeklagten gezeigt und mit der Hand hinausgebeten haben. „Ich weiß nicht, was der gegen mich hatte“, so der junge Mann auf der Anklagebank.
Im weiteren Verlauf war der Döner-Verkäufer hinter der Theke hervorgetreten und hatte dem Angeklagten eine kräftige Ohrfeige verpasst: „Ich hab wirklich nur noch schwarz gesehen.“Der Verkäufer, der am Montag auch als Zeuge geladen war, hatte bei seiner Vernehmung bei der Polizei – als einziger – von einem Messer im Jackenärmel des Angeklagten berichtet, welches dieser schließlich auch gezückt und damit herumgefuchtelt haben soll. Doch da der Verkäufer nicht zur Zeugenvernehmung am Montag erschien und andere im Zeugenstand von einem Messer nichts gesehen hatten, konnten die Vorwürfe der Bedrohung und Körperverletzung nicht aufrecht erhalten bleiben. Damit blieb nur noch die Sachbeschädigung als Anklage stehen.
Am Bahnhof gibt es öfter Stress
„Das war ein Schock für mich. Ich hab gedacht, der ganze Laden geht unter“, beschrieb der stellvertretende Filialleiter den Moment, als das Glas der Verkaufstheke zu Bruch ging, sichtlich betroffen vor Gericht. So gut wie täglich komme es in dem Markt am Bahnhofsvorplatz zu Vorfällen, was seine Arbeit enorm erschwere. „Es gibt viele Besoffene gerade am Abend – es ist manchmal mehr eine Kneipe“, schilderte der stattliche Mann. Auch der Polizeibeamte zeichnete ein ähnliches Bild: „Da gibt es immer wieder Stress, weil sich am Bahnhofsvorplatz polizeibekannte Gruppen treffen – und wenn die dann Hunger und Durst haben oder denen kalt und langweilig ist, dann gehen die in den Supermarkt.“
Für den Angeklagten gab es am besagten Abend ein Hausverbot – doch auch mit dem Verhalten seines Verkäufers war der stellvertretende Marktleiter nicht ganz einverstanden, wie er sagte. Der Mitarbeiter hat inzwischen auf eigenen Wunsch die Arbeitsstätte verlassen.
Bislang hatte der Angeklagte zwar mehrfach wegen Diebstahl und Körperverletzung vor Gericht gestanden, in den meisten Fällen waren die Verfahren jedoch eingestellt worden. Vielleicht auch, weil der junge Mann trotz eines „dramatischen Lebens“, wie die Jugendgerichtshilfe sagte, einem geregelten Job nachgehe.
Ein Blick auf den kurzen Lebenslauf sorgte in der Tat für einen Gänsehautmoment im Gerichtssaal: Kurz nach seiner Geburt in Berlin wurde der Angeklagte zusammen mit seiner Schwester vom Vater, der aus Palästina stammt, entführt. Bis vor etwa zwei Jahren wuchs der junge Mann im Gazastreifen auf, ging dort zur Schule und machte sein Abitur, bis er seinem Vater seinen Reisepass stahl, mit dem er auf eigene Faust zurück nach Deutschland flüchtete. Hier angekommen, suchte er verzweifelt seine Mutter – doch die Großeltern verhindern bis heute den Kontakt. „Ich denke, dass sie nicht mal weiß, dass ich wieder hier bin.“„Und wer hat heute in ihrem Leben die Rolle der Mutter?“, wollte Martin Hussels wissen. „Niemand“, so die Antwort.
Unter Zustimmung der Staatsanwaltschaft entschied Richter Martin Hussels schließlich, das Verfahren ohne Urteil einzustellen – allerdings mit Auflagen: So soll der Angeklagte für den Schaden der zerbrochenen Ladentheke aufkommen und zudem 30 Stunden gemeinnützige Arbeit innerhalb der nächsten drei Monate verrichten. Der nicht erschienene Zeuge wurde übrigens zu 300 Euro Ordnungsgeld verdonnert.