Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Fräulein Kuchenzauber und andere Internetstars
Wie Foodblogger beeinflussen, was wir essen – Bei manchem ist aus dem Hobby ein Beruf geworden
WESTERHEIM - Christina Rehm will das perfekte Foto. Sie kniet sich hin, lehnt sich ein wenig nach hinten, dann wieder nach vorn, um die beste Perspektive zu finden. Sie fixiert das Motiv durch den Sucher ihrer Kamera und drückt schließlich den Auslöser. Klick! Ihr Fotomotiv ist ein Model der anderen Art, aber durchaus extravagant: Es ist ein „Schoko-Cupcake mit Cream Cheese Frosting“und goldglitzernden Streuseln. Zu Deutsch: ein Schokoladenküchlein mit Frischkäsegarnierung.
Die 36-jährige Christina Rehm ist Foodbloggerin. Wenn sie etwas backt, verziert und drapiert sie das Gebackene aufwendig, macht Fotos davon und lädt die ansprechendsten Bilder auf ihre Homepage und in die sozialen Medien hoch. Dort teilt sie unter dem Pseudonym „Fräulein Kuchenzauber“ihre Backfotos und -rezepte mit ihren Fans. 4000, vor allem Frauen, verfolgen allein bei der InternetFotoplattform Instagram, was und wie Rehm backt.
Dem Bundeszentrum für Ernährung zufolge gibt es weit mehr als tausend Foodblogs in Deutschland. Herzstück der Webseiten sind kreative Rezepte zum Nachmachen – versehen mit oftmals sehr professionellen Fotos, die das Essen ins rechte Licht rücken sollen. Auch in Baden-Württemberg wachsen die Blogs wie Pilze aus dem Boden. Bei der jüngeren Generation sind sie oft die beliebtere Version eines Kochbuchs – da multimedial und persönlich geschrieben.
Christina Rehm ist eine der Bloggerinnen aus Baden-Württemberg. Die zweifache Mutter lebt in einem Einfamilienhaus in Westerheim auf der Schwäbischen Alb. All das, worüber sie bloggt, entsteht hier in ihrer Küche. Sie braucht nur einen perfekt sitzenden Schlag, um eine Eierschale zu teilen, sie weiß, welche Temperatur Butter haben muss, damit sie beim Rühren schön cremig wird, und erkennt auch ohne den Stäbchentest, wann ein Gebäck fertig ist. „Das Gespür fürs Backen hatte ich schon immer. Schon als Kind habe ich meiner Mutter dabei geholfen“, sagt sie.
Eine Freundin schlug ihr schließlich vor, ihre Backkunst im Internet zu präsentieren, „zunächst hauptsächlich, um die Bekannten über die neusten Rezepte zu informieren“. Das war im Jahr 2014. Seitdem ist die Zahl derjenigen, die ihren Blog abonniert haben, kontinuierlich angewachsen. Dabei ist Rehm mit ihren 4000 Abonnenten auf Instagram noch eine der kleineren Attraktionen in der Bloggerszene.
Veganes Erfolgsrezept
Ein größeres Kaliber sind Jörg Mayer und Nadine Horn aus Ulm mit ihrem Blog „Eat this!“. Den Blog, der ausschließlich vegane Rezepte enthält, haben die beiden Webdesigner 2011 gegründet. Heute haben sie 63 000 Follower auf Instagram und sind Autoren mehrerer Kochbücher. „Es hat sich verselbstständigt“, sagt Mayer, „unser Alltag dreht sich heute vor allem um den Blog.“Mittlerweile schreiben sie eine Art Redaktionsplan, welches Gericht sie als nächstes veröffentlichen, je nachdem was die Leser gerade interessiert und welche Saison gerade ist. Ihr Credo: leckere Rezepte, saisonale Zutaten, kein Tierleid. Die positiven Rückmeldungen ihrer Leser trieben sie weiter an, sagen die beiden. Viele würden ihre Rezepte nachkochen, manche Gerichte hätten sie sogar schon auf Speisekarten in Restaurants wiedergefunden.
Als Blogger verdienen Horn und Mayer mittlerweile so viel, dass sie davon leben können. Wie viel, wollen sie nicht sagen. Das Geld machen sie mit Fotoaufträgen, ihren Kochbüchern und indem sie Produkte – mit entsprechender Werbekennzeichnung – auf ihrem Blog platzieren. Daran sind vor allem Lebensmittelunternehmen interessiert, weil sie mit einer einzigen Veröffentlichung viele Menschen erreichen können. Was früher die Fernsehköche waren, sind heute die Blogger. Ihr Einfluss wächst – und das, obwohl weder Jörg Mayer und Nadine Horn noch Christina Rehm eine Koch- oder Bäckerausbildung gemacht haben.
„Blogger müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein“, sagt Monika Radke vom Referat für Ernährung des Landesministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. „Blogger animieren ganz bestimmt“, zunächst mal positiv, findet sie. Regionales und saisonales Kochen stehe auf der Agenda der Blogger und sei, wahrscheinlich auch dadurch, zum allgemeinen Trend in der Gesellschaft geworden.
Schwarze Schafe
Gleichzeitig gebe es aber auch unter den Bloggern schwarze Schafe, die in ihren Videos falsche Techniken anwenden, Messer falsch halten oder nicht die nötige Hygiene walten lassen. Sie empfiehlt jedem Blogger, sich Wissen über Lebensmittel anzueignen und bestimmte Ernährungsweisen mit den nötigen Hinweisen zu versehen – beispielsweise, dass Veganer das Vitamin B12 als Ergänzung zuführen sollten. Auch ihrer Verantwortung als Werbeträger müssten sich die Blogger bewusst werden. Trotz der deutlichen Kennzeichnung glaubt Radke nicht, dass allen Jugendlichen bewusst sei, dass die Blogger Kooperationen mit Unternehmen eingehen.
Sowohl Christina Rehm als auch die Macher von „Eat this!“beteuern, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein. Fräulein Kuchenzauber Christina Rehm sagt, dass sie versuche, Zucker in ihren Rezepten zu reduzieren und dass sie mit regionalen Zutaten backt. Auf ihrer Homepage präsentiere sie sich ausschließlich als Hobbybäckerin und nicht als ausgebildete Bäckerin. Produkte von Unternehmen würde sie nur weiterempfehlen, wenn sie wirklich dahinterstehe.
„Das größte Gut ist unsere Glaubwürdigkeit“, sagt auch Jörg Mayer vom Blog „Eat this“. „Mit unserem Blog versuchen wir, den Menschen zu vermitteln, dass sie das Fertigessen im Regel lassen und lieber selber kochen sollen“, sagt er. Auch Mayer und Horn stellen in ihrem Blog klar, dass sie keine Ernährungsberater sind. Wohl aber: Hobbyköche und Hobbybäcker, die viel Herzblut und Zeit in ihre Rezepte stecken, um sie mit der ganzen Welt zu teilen.