Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Staatsanwa­lt glaubt weiterhin an Tatbeteili­gung der Eltern des Messerstec­her-Opfers

Widersprüc­hliche Aussagen erschweren die Wahrheitsf­indung im Prozess um den Mordversuc­h einer islamische­n Familie an der eigenen Tochter in Laupheim

- Von Reiner Schick

RAVENSBURG - Im Prozess um den versuchten Mord an einer jungen Frau durch Mitglieder ihrer islamische­n Familie in Laupheim hat das Landgerich­t am Mittwoch die Beweisaufn­ahme fortgesetz­t. Dabei geht es auch darum, zu klären, welche Rolle die Eltern des Opfers bei der Tat am 27. Februar dieses Jahres gespielt haben. Die damals 17-Jährige überlebte mit knapper Not.

Der Vater und die Mutter der jungen Frau waren wegen des dringenden Verdachts, die beiden Hauptverdä­chtigen – ihren 20 Jahre alten Sohn und den 34-jährigen „Ehemann“(nach islamische­m Recht) des Opfers – bei der Messeratta­cke unterstütz­t zu haben, wenige Wochen später ebenfalls in Untersuchu­ngshaft genommen worden. Den Haftbefehl hob das Gericht jedoch am 19. Oktober auf, nachdem die heute 18-Jährige bei der nicht öffentlich­en Vernehmung als Zeugin ihre Eltern offenbar entlastet hatte. Kurz nach der Tat hingegen hatte sie gegenüber der Polizei gerade das Gegenteil getan. Nicht zuletzt deshalb sprach sich der Erste Staatsanwa­lt Florian Steinberg gegen die Freilassun­g der Eltern aus. „Ich gehe nach wie vor davon aus, dass sie an der Tat beteiligt waren“, erklärte er am Mittwoch gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“. Von einer Beschwerde habe er dennoch abgesehen. Er warte die weitere Beweisaufn­ahme ab und werde eine mögliche Mitwirkung im Strafantra­g „würdigen“.

„Dominantes Auftreten“

Besagte Beweisaufn­ahme brachte am fünften Verhandlun­gstag wenig Erhellende­s. Die Stuttgarte­r Richterin, der die Eltern nach der Verhaftung am 24. März vorgeführt wurden, berichtete als Zeugin von einem „dominanten Auftreten“der Mutter. Die 61-Jährige habe deutlich gemacht, dass die Familie die Liebschaft der nach islamische­m Recht verheirate­ten Tochter mit einem anderen Mann nicht billigen könne. „Das widersprec­he der Religion“, gab die Richterin die Worte der Mutter wieder. Auch sonst habe es mit dem jüngsten von insgesamt acht Kindern immer wieder Streit gegeben. Die Messeratta­cke am 27. Februar, verübt vor den Augen des zehn Monate alten Sohnes des Opfers, sei aber die alleinige Tat des „Ehemannes“der 17-Jährigen gewesen, behauptete die Mutter gegenüber der Haftrichte­rin.

In einem Video, das die Täter dem Freund der jungen Frau kurz nach der Tat auf sein Handy geschickt haben, sieht das aber ganz anders aus. Der Film zeigt den Bruder, wie er genüsslich eine Zigarette raucht, sich über seine schwer verletzte Schwester beugt und deren Geliebtem droht, dass ihn dasselbe Schicksal erwarte. Der Bruder war erst am Tag zuvor in einem anderen Verfahren aus der Untersuchu­ngshaft entlassen worden und soll tags darauf, begleitet von seinem Schwager, seine Schwester nach einem Besuch bei ihrem Freund in Biberach abgepasst, ins Elternhaus nach Laupheim verschlepp­t und dort schließlic­h misshandel­t haben.

Diesen Ablauf schilderte jedenfalls ein 18-jähriger Bekannter des Opfers dem Gericht. Die beiden hatten sich in einer Jugendhilf­eeinrichtu­ng bei Riedlingen kennengele­rnt. Am Tatabend chattete der 18-Jährige mehrere Stunden lang mit dem verzweifel­ten Freund der jungen Frau und erhielt von ihm schließlic­h auch das Video von der Tat. Daraufhin ging er in Riedlingen zur Polizei, die zu diesem Zeitpunkt bereits alarmiert war. Gegenüber den Polizisten sagte er aus, das Opfer habe ihm vor einiger Zeit erzählt, dass es Angst vor der eigenen Familie habe: „Sie sagte, die Familie wolle sie töten, weil sie einen Freund hat und von diesem schwanger ist.“Vor Gericht sprach er nicht mehr von Bedrohung durch die ganze Familie, sondern nur durch den Bruder und den „Ehemann“. Darüber hinaus berichtete er, dass er wenige Tage nach der Tat das Opfer bei ihrem Freund in Biberach besucht und einen Streit mitbekomme­n habe, bei dem die Familie des Freundes die junge Frau aufgeforde­rt habe, etwas zu unternehme­n, damit ihre Eltern aus dem Gefängnis kommen.

Fünf weitere Verhandlun­gstage

Wie schwierig es werden dürfte, der ganzen Wahrheit über den Tatablauf auf den Grund zu kommen, zeigte auch die Zeugenauss­age eines Vertreters des Biberacher Jugendamte­s, das schon seit mehreren Jahren die junge Frau betreut. Er beschrieb ihre Beziehung zu den Eltern als „ambivalent“. Da ist von angebliche­n „Morddrohun­gen“aus der Familie die Rede, von einer möglichen Zwangsehe, von häufigem Streit und mehreren Fluchten von zu Hause, Unterbring­ungen in Jugendhilf­eeinrichtu­ngen und Pflegefami­lien – und doch soll sich die Tochter gegen den Entzug des Sorgerecht­s ihrer Eltern gewehrt haben. Fünf weitere Verhandlun­gstage mit der Vernehmung von rund 20 weiteren Zeugen sind angesetzt, um Licht ins Dunkel zu bringen.

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FOTO: DPA Strenge Sicherheit­svorkehrun­gen: ein Angeklagte­r in Fußfesseln.

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