Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Abenteuer im Wartezimmer
Wenn man zum Arzt geht, muss man Zeit und Geduld mitbringen. Das Wartezimmer ist meistens voll und entsprechend viele Mäntel hängen an der Garderobenstange. Manchmal ist die Garderobe so überfüllt, dass der eigene Mantel keinen Platz findet. Das ist mir passiert.
Neben der vollgestopften Garderobe sind noch zwei Stühle frei. Einen belege ich mit meinem Mantel und mit meiner Tasche, auf dem anderen nehme ich Platz. Ich hoffe, dass ein Kleiderbügel frei wird, wenn der nächste Patient seinen Mantel holt.
Eine alte Dame betritt das Wartezimmer, ein Pflaster im Gesicht. Offensichtlich ist ihre Behandlung beendet und sie wird ihren Mantel holen. Das heißt für mich: Ein Kleiderbügel für meinen Mantel wird frei. Die alte Dame stellt ihre Tasche auf den Boden, greift nach einem Mantel und will ihn anziehen.
„Halt!“ruft eine Patientin, „das ist mein Mantel!“„Oh,“sagt die alte Dame, „die Mäntel sehen alle gleich aus.“Sie greift sich den nächsten und hat Schwierigkeiten, ihn anzuziehen. Ich bin ihr behilflich, in der Hoffnung, dass es diesmal der richtige Mantel ist.
Zwar kommt kein Protest von den Anwesenden im Wartezimmer, aber da sind ja auch noch andere Patientinnen in den Behandlungsräumen. „Sind Sie sicher, dass dies wirklich Ihr Mantel ist?“Ich bin besorgt. „Ja, das sehen Sie doch, er passt mir.“Die Antwort überzeugt mich nicht wirklich.
„Vielen Dank für Ihre Hilfe,“sagt die alte Dame, nimmt meine Tasche vom Stuhl und will das Wartezimmer verlassen. „Nein, nein,“sage ich, „das ist meine Tasche, Ihre Tasche steht auf dem Boden.“„Na so was!“Die alte Dame lacht mich an. „Wissen Sie, ich habe meine Brille vergessen.“
Ich verzichte auf den freien Kleiderbügel und nehme diesmal meinen Mantel in das Behandlungszimmer mit.