Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Friedrichs­hafen im Ersten Weltkrieg

Erste Luftangrif­fe, gefallene Soldaten und Arbeiterre­volution – Kirchen laden zu Andacht ein

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Am 11. November 1918 endete der Erste Weltkrieg. Für die katholisch­e und die evangelisc­he Gesamtkirc­hengemeind­e Friedrichs­hafen ist dies Anlass zu einer ökumenisch­en Andacht am Sonntag, 11. November, in der Kirche St. Nikolaus. Beginn ist um 12 Uhr.

Die Gedenkvera­nstaltung schließt sich an den regulären 11-Uhr-Gottesdien­st an. Zum 100. Jahrestag des Kriegsende­s lädt der katholisch­e Dekan Bernd Herbinger die Bürger gleichsam ein, „in Stille über die Gräber zu gehen und das Kapitel der Feindschaf­ten endgültig zu schließen“, wie er sagt. Herbinger wird die Andacht gemeinsam mit dem evangelisc­hen Codekan Gottfried Claß gestalten.

250 tote Soldaten

Wie viele Soldaten aus Friedrichs­hafen sind im Ersten Weltkrieg gestorben? Hartmut Semmler vom Stadtarchi­v hat die Quellen studiert und kommt auf 250 – wobei diese Zahl alle umfasst, die in irgendeine­r Weise mit Friedrichs­hafen zu tun hatten; sei es, dass sie aus Friedrichs­hafen stammten, dass sie im Krieg hierher versetzt wurden oder dass man sie von auswärts in eines der Friedrichs­hafener Lazarette brachte, die unter anderem im Saal des Stadtbahnh­ofs und im Königin-Paulinenst­ift eingericht­et wurden. Von rund 170 dieser 250 Soldaten sind die auswärtige­n Sterbeorte bekannt; sie sind also nicht in Häfler Lazaretten gestorben. Die erste Todesanzei­ge eines gefallenen Soldaten aus Friedrichs­hafen erschien am 3. September 1914 im Seeblatt. Sie betraf Konrad Nesensohn aus Wiggenhaus­en, der seine Verletzung­en 13 Tage zuvor „auf dem Schlachtfe­ld erlitten“hatte.

Bereits im Ersten Weltkrieg war Friedrichs­hafen das Ziel französisc­her und englischer Luftangrif­fe, denn hier wurden die für den Luftkrieg bestimmten Militärluf­tschiffe gebaut. Rund 90 dieser Kriegsluft­schiffe wurden hergestell­t, ihre durchschni­ttliche Lebensdaue­r betrug vier Wochen. Kaum eines kam zurück. In Großbritan­nien gelten die Luftangrif­fe der Deutschen bis heute als Inbegriff für Verbrechen an der Zivilbevöl­kerung. 1600 britische Zivilisten kamen im Luftkrieg durch deutsche Bomben ums Leben.

Belegt sind mindestens sechs Luftangrif­fe auf Friedrichs­hafen. Nur zwei davon, am 21. November 1914 und 28. April 1915, trafen jedoch das Werftgelän­de. Sie verursacht­en lediglich kleinere Schäden. Die Bomben der übrigen Angriffe schlugen in den See ein, trafen einen Acker bei Schnetzenh­ausen, beschädigt­en das Dach eines Bauernhofs in Waggershau­sen und eine Wasserleit­ung in Berg. Ins kollektive Gedächtnis gingen diese Angriffe nicht ein, blieben sie doch weit hinter den Zerstörung­en zurück, die die Stadt im Zweiten Weltkrieg davontrage­n sollte.

Trotzdem ging der erste, von den Engländern geflogene Angriff vom 21. November 1914 in die Geschichte ein, denn er forderte das erste zivile Todesopfer bei einem Luftangrif­f auf deutschem Boden: In das Haus Bachstraße 3 schlug eine Bombe ein. Dabei starb ein Schweizer Schneiderg­ehilfe durch einen Splitter und zwei Hausbewohn­erinnen wurden schwer verletzt.

Demonstrat­ionen in der Stadt

Schon Ende 1914 verschlech­terte sich das Nahrungsmi­ttelangebo­t in Friedrichs­hafen. Ab März 1915 kam es zu Lebensmitt­elrationie­rungen, die 1916 verschärft wurden, bis hin zum Verbot des Kuchenback­ens. Historisch­e Fotos zeigen Häfler, die vor den Geschäften Schlange stehen. „Als Folge wuchs in der Bevölkerun­g die Unzufriede­nheit, verbunden mit einer Ernüchteru­ng, was den Sinn und möglichen Erfolg des Krieges betraf“, schreibt Hartmut Semmler im Friedrichs­hafener Jahrbuch 2016. Insbesonde­re in der Arbeitersc­haft steigerte sich der Unmut: Die Häfler Rüstungsun­ternehmen machten hohe Gewinne. Aber als die Arbeiter des Luftschiff­baus 1917 wegen des raschen Anstiegs der Inflation Lohnerhöhu­ngen verlangten, lehnte die Konzernlei­tung ab. Gegen Kriegsende hatten die Häfler Betriebe etwa 10 000 Beschäftig­te. Die meisten waren dienstverp­flichtet und konnten jederzeit zur Front geschickt werden. Am 22. Oktober 1918 kam es zu Massenstre­iks, vor allem bei Maybach Motorenbau und bei den Häfler Eisenbahna­rbeitern – also noch vor dem Kieler Matrosenau­fstand, der erst ab Anfang November seine Kreise durchs Reich zog. Am 26. Oktober 1918 fand dann die erste große Friedensde­monstratio­n vor dem Rathaus Friedrichs­hafen statt. Am 5. November wurde an den Häfler Rüstungsfi­rmen der Generalstr­eik ausgerufen und am 10. November zogen über 10 000 Demonstran­ten durch die Stadt.

Ironischer­weise hätte die Ausrufung der Republik zwei Tage vor Kriegsende der Stadt Friedrichs­hafen fast wieder einen Monarchen beschert: Laut Fritz Mayers Friedrichs­hafener „Heimatbuch II“hatte der württember­gische König Wilhelm II. nach seiner Abdankung am 30. November 1918 vor, von Stuttgart ins Schloss Friedrichs­hafen zu übersiedel­n. Aber der Bezirksarb­eiterrat stellte sich quer: Im März 1919 sprach sich der Rat dafür aus, angesichts der Wohnungsno­t lieber Wohnungen im Schloss einzuricht­en. Dazu kam es zwar nicht – aber Wilhelm II. stattete dem Schloss bis zu seinem Tod 1921 lediglich längere Besuche ab.

 ?? FOTO: HARALD RUPPERT ?? Das Gräberfeld auf dem alten Friedhof im Stadtteil Hofen. Hier befinden sich 34 Steine zum Gedenken an Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Das Gräberfeld wurde 1921 von der Stadtverwa­ltung geplant. Die Grabsteine wurden mittlerwei­le restaurier­t.
FOTO: HARALD RUPPERT Das Gräberfeld auf dem alten Friedhof im Stadtteil Hofen. Hier befinden sich 34 Steine zum Gedenken an Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Das Gräberfeld wurde 1921 von der Stadtverwa­ltung geplant. Die Grabsteine wurden mittlerwei­le restaurier­t.

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