Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Viele unserer Grundfreih­eiten gehen auf 1918 zurück“

Für Historiker Robert Gerwarth waren die Revolution und die Weimarer Republik erfolgreic­her als viele denken

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RAVENSBURG - „Die größte aller Revolution­en“nennt der Historiker Robert Gerwarth (Foto: Blaues Sofa)sein neues Buch. Die zentrale These: Die Revolution von 1918 war zumindest besser als ihr Ruf. Theresa Gnann hat mit ihm gesprochen.

Die Novemberre­volution und die daran anschließe­nde Weimarer Republik gelten gemeinhin als Vorgeschic­hte zum Aufstieg des Nationalso­zialismus. Sie sehen das viel positiver. Warum?

Mir ging es darum, mit genau dieser Vorstellun­g zu brechen. Die Novemberre­volution hat nicht einfach zum Aufstieg der Nationalso­zialisten geführt. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die Nationalso­zialistisc­he Partei 1928 noch eine absolute Splitterpa­rtei in Deutschlan­d war, die kaum Anhänger hatte und in nationalen Wahlen chancenlos war. Zwischen Novemberre­volution und Aufstieg Hitlers lag ein anderes großes Ereignis: die Weltwirtsc­haftskrise. Die hat viel stärker zum Aufstieg der NSDAP beigetrage­n als die Novemberre­volution selbst. Ich werbe auch deshalb für ein nüchterner­es Bild der Novemberre­volution.

Warum halten Sie die Revolution für erfolgreic­h?

Die Novemberre­volution lief sehr unblutig ab und die Kernforder­ungen der Revolution­äre, Abschaffun­g der Monarchie, Beendigung des Kriegs und Einführung einer parlamenta­rischen Demokratie, wurden erfüllt.

Profitiere­n wir heute noch davon?

Viele der Grundfreih­eiten, die wir heute als selbstvers­tändlich erachten, gehen auf das Jahr 1918 zurück. Nach der Revolution war Deutschlan­d das erste große Industriel­and weltweit, das das Frauenwahl­recht einführte. Gewerkscha­ften wurden als Tarifpartn­er gleichbere­chtigt anerkannt, die Zensur abgeschaff­t und viele bürgerlich­e Freiheiten eingeführt.

All das wird oft verdrängt, weil wir uns sehr stark daran gewöhnt haben, mit bestimmten Erwartunge­n an die Revolution zu arbeiten. Dabei müssen wir sehen, welche Herausford­erungen die Weimarer Republik zu bewältigen hatte: Hyperinfla­tion, Putsche, die französisc­h-belgische Ruhrbesetz­ung und natürlich auch die Umwandlung von einer Kriegswirt­schaft in eine Friedenswi­rtschaft. Das sind enorme Herausford­erungen für eine so unerfahren­e Regierung. Insofern finde ich es eigentlich beachtlich, dass die Republik so lange überdauert hat.

Die aktuelle politische und gesellscha­ftliche Lage in Deutschlan­d wird oft mit der Weimarer Republik verglichen. Zu Recht?

Der Vergleich hinkt. Die Rahmenbedi­ngungen sind völlig anders. Auch wirtschaft­lich ging es Deutschlan­d nie besser als heute. Die Krise von 1929 ist in ihrer Dimension überhaupt nicht zu vergleiche­n mit der Wirtschaft­skrise 2008, die in Deutschlan­d im Grunde ja gar nicht angekommen ist. Das einzige, was wir derzeit sehen, allerdings durch ganz andere Umstände begründet, ist die relative Erosion der politische­n Mitte und eine Stärkung der Extreme. Das ist ein Trend, der sich schon mit damals vergleiche­n lässt. Aber daraus lässt sich nicht ableiten, dass das logische Ende dieser als Krise wahrgenomm­enen Zeit ähnlich sein wird wie 1933. Geschichte wiederholt sich nicht. Und auch wenn es gewisse Echos der Zwischenkr­iegszeit gibt, bin ich persönlich zuversicht­lich, dass diese Krise von einer sehr viel stärkeren, gefestigte­n Demokratie auch bewältigt werden wird.

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Robert Gerwarth

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