Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Im Höhenflug nach Europa
Die Grünen verabschieden ihr Europawahlprogramm
LEIPZIG - Stabile Feierlaune bei den Grünen: „Wir Grüne haben die Republik ganz schön gerockt in letzter Zeit“, stellt die neue Spitzenkandidatin für Europa, Ska Keller, mit Blick auf die erfolgreichen Landtagswahlen in Hessen und Bayern fest. Parteichef Robert Habeck will noch mehr: „Menschen ändern ihre Meinung“, so Habeck, und die Volksparteien hätten eine zu schwache Bindekraft. Darin macht er eine Chance für die Grünen aus. Schließlich spürt er die „Rückkehr des Politischen“, die Menschen wollten wieder diskutieren, und die Grünen hätten „im richtigen Moment die Segel“gesetzt.
Zweieinhalb Tage lang haben die Grünen in Leipzig ihr Europawahlprogramm aufgestellt, mit viel Leidenschaft. Die beiden Spitzenkandidaten Ska Keller und Sven Giegold schwenken die Fahne, Parteichefin Annalena Baerbock verspricht schon zum Auftakt des Parteitags: „Wir Grüne wollen mit Haut und Haar für Europa kämpfen.“Und Habeck sagt zum Abschluss: „Wir bringen die Sterne Europas wieder zum Leuchten.“
„Europa. Darum kämpfen wir“lautet das Motto des Europaparteitags, bei dem die Grünen ihre Liste aufstellten. Robert Habeck lobt sie als Mischung aus „Erfahrung und Jugend, Diversität, Christen, ein Jude, ein Sinto, ein Bauer, eine Frau mit Behinderung ... Kompetenz, Esprit, Vielfalt. Unsere Liste ist das glatte Gegenteil von ,Opa nach Europa‘.“Reinhard Bütikofer, der Ex-Parteichef, entschuldigt sich fast für sein Alter, wurde aber als ein in jeder Hinsicht europäisches Schwergewicht mit deutlicher Mehrheit auf Platz vier gewählt.
Seltene Harmonie bei den Grünen
Selten war ein Parteitag der Grünen so harmonisch. Der Klimaschutz soll verstärkt, CO2 ebenso wie Einwegplastik besteuert werden. Zusätzliche Einnahmen aus der CO2-Steuer sollen als „Energiegeld“an die Verbraucher ausgezahlt werden.
Eine Digitalsteuer soll eingeführt werden. Es sei doch keine linke Politik, so Habeck, wenn Google und Amazon genauso viel Steuern bezahlen müssten wie der Apotheker oder der Handwerker um die Ecke. Die Grünen wollen außerdem Mehrheitsentscheide in der EU einführen, auch in der Außen- und Steuerpolitik. „Das Europa der Vaterländer ist kein Europa“, so Habeck unter großem Beifall des Parteitags.
Die Grünen liegen auch in neuen Umfragen über 20 Prozent, bei den Frauen liegen sie mit 28 Prozent vor der CDU (27 Prozent). Ein neues Selbstbewusstsein und Geschlossenheit prägen die Diskussionen der 800 Delegierten in Leipzig. Selbst das Kapitel über die Flüchtlingspolitik, dem allein 300 Änderungsanträge galten, wurde in einem „harten Ritt“wie der stellvertrende Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz meint, am Abend vor dem Parteitag klargezogen. Der umstrittene Satz „Nicht alle, die kommen, können bleiben,“wurde nun nicht mehr mit dem Recht auf Asyl verknüpft, sondern an anderer Stelle eingefügt.
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, deren Zustimmung als Parteilinke entscheidend war, hatte sich mit der Änderung einverstanden erklärt. Das war entscheidend für den Durchbruch. Festgehalten wird aber