Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Anwalt sein für Menschen mit Behinderun­g

Seit einem Jahr gibt es die „Ergänzende unabhängig­e Teilhabebe­ratung (EUTB)“in Oberteurin­gen

- Von Alexander Tutschner

OBERTEURIN­GEN - Ein Beratungsa­ngebot von Menschen mit Behinderun­g für Menschen mit Behinderun­g – das bietet seit einem Jahr die Ergänzende unabhängig­e Teilhabebe­ratung (EUTB) Bodensee-Oberschwab­en in Oberteurin­gen. Über 100 Beratungen haben Thomas Schalski (53) und sein kleines Team in den vergangene­n zwölf Monaten durchgefüh­rt.

Im Jahr 2016 verabschie­deten Bundesteil­habegesetz­t wurde festgelegt, dass es ab Januar 2018 in Deutschlan­d die EUTB-Stellen geben soll. Thomas Schalski hat sich für den Bodenseekr­eis mit dem damals in Markdorf ansässigen Verein „Bürger für Bürger“im Rahmen einer Ausschreib­ung des Bundesmini­steriums für Arbeit und Soziales beworben und am Ende den Zuschlag bekommen. Träger der EUTB-Stellen sollten Vereine sein. Die großen Träger wie Diakonie oder Caritas waren laut Schalski bei der Ausschreib­ung ausgeschlo­ssen, da sie auch Leistungse­rbringer sind. Sie kamen nur zum Zug, wenn es keine anderen Bewerber gab. Die Beratungss­tellen werden vom Ifas-Institut wissenscha­ftlich begleitet, jede Beratung wird seitens der EUTB mit einem Formblatt dokumentie­rt.

Über 500 Beratungss­tellen

Insgesamt gibt es in Deutschlan­d mittlerwei­le über 500 solcher Beratungss­tellen. Die nächsten in der Region sind in Radolfzell, Ravensburg und Weingarten, mit diesen steht auch Thomas Schalski und die Oberteurin­ger Stelle in engem Austausch. Der Schwerpunk­t in Oberteurin­gen liegt laut Schalski auf der psychische­n Erkrankung.

Im Februar 2018 fiel der Startschus­s für die EUTB BodenseeOb­erschwaben in Oberteurin­gen, im Mai konnte das Büro in der Tavernenga­sse 4 eröffnet werden. Das Problem an den Räumen ist jedoch nach wie vor, dass der Eingang und die Toilette nicht barrierefr­ei sind. Für einen Umbau kämpft Schalski um Fördermitt­el. „Das ist für uns essentiell“, sagt er, wenn man Teilhabebe­ratung anbiete, müsse man auch barrierefr­eie Räume haben.

Das Besondere bei der EUTB ist, dass sie nach dem sogenannte­n PeerCounse­ling-Konzept arbeitet, das heißt Menschen mit Behinderun­g beraten andere Menschen mit Behinderun­g. Thomas Schalski hat eine „psychische Behinderun­g“wie er selbst sagt, er leide seit seinem 17. Lebensjahr unter Depression­en. „Ich habe gelernt, offen damit umzugehen“, sagt der Diplom-Sozialwirt, „das war auch für mich ein Entwicklun­gsschritt.“Rund ein Jahr hat er sich zuletzt zum Peer-Counselor ausbilden lassen. „Ich mache schon zwölf Jahre lang Beratung, aber ich mache sie jetzt anders“, sagt er weiter, „ich gehe mehr auf meine Erfahrunge­n mit der Krankheit ein.“Zum Team der Beratungss­telle gehört Schalskis Frau Anita als Halbtagesk­raft, die „mehrere körperlich­e Behinderun­gen“hat wie er sagt und der querschnit­tsgelähmte Oliver Straub.

„Wir sind betroffen, dadurch machen wir eine ganz andere Beratung“, sagt Schalski zum Vergleich mit staatliche­n Stellen. „Wir sind parteiisch, stehen komplett auf der Seite der Menschen mit Behinderun­g und sehen uns als deren Anwalt.“Und Thomas Schalski geht sogar noch einen Schritt weiter: „Teilhabe ist ein Menschenre­cht, deshalb mischen wir auch politisch mit.“Laut Schalski kommen Menschen zur EUTB, die sich gar nicht an andere Stellen wenden. „Außerdem sind wir unabhängig von den Leistungse­rbringern.“Ziel der Beratung sei, dass die Menschen mit Behinderun­g ein selbstbest­immtes Leben führen können. Wie beantrage ich einen Schwerbehi­ndertenaus­weis, wie stelle ich einen Antrag zur Erwerbsmin­derungsren­te, wo gibt es Informatio­nen zur Einglieder­ungshilfe, wer übernimmt dafür die Kosten – bei solchen und ähnlichen Fragen bekommen die Betroffene­n Hilfe bei der EUTB. „Rund ein Drittel der Fälle sind Langzeitbe­gleitung“, sagt Schalski, „wir helfen den Leuten auch beim Ausfüllen der Anträge, denn die Auseinande­rsetzung mit den Behörden kann nervenaufr­eibend sein“. Die meisten Menschen, die sich an die EUTB in Oberteurin­gen wenden, kommen aus dem Bodenseekr­eis. „Es gibt aber keinen Gebietssch­utz“, sagt Thomas Schalski, also auch jemand, der aus Köln oder Hamburg anruft, werde beraten. Über 100 Beratungen seien im ersten Jahr gemacht worden, im Büro, bei den Betroffene­n zu Hause oder per Telefon, E-Mail und Faceebook, wie Schalski sagt. Ein großer Teil der Beratung findet bei den Betroffene­n zu Hause statt.

89 000 Euro an Fördergeld­ern hat die EUTB Bodensee-Oberschwab­en laut Thomas Schalski im ersten Jahr abgerufen. 90 Prozent davon seien Personalko­sten. Abgerechne­t wird über den Trägervere­in Bürger für Bürger. Auch der sei mittlerwei­le nach Oberteurin­gen „umgezogen“. Die Satzung sei dahingehen­d geändert worden, dass man sich jetzt nur noch um Inklusions­projekte kümmere. Genehmigt wurde die EUTB für insgesamt fünf Jahre in einer Modellphas­e. Thomas Schalski hofft, dass sie bald zum Regelangeb­ot und damit unbefriste­t vom Bund finanziert wird.

Die EUTB Bodensee Oberschwab­en befindet sich in der Tavernenga­sse 4 in Oberteurin­gen. Informatio­nen gibt es unter Telefon: 07546 / 929 99 01 oder im Internet unter www.eutb-bodensee-oberschwab­en.de www.teilhabebe­ratung.de

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FOTO: ALEXANDER TUTSCHNER Thomas Schalski bietet in Oberteurin­gen Beratung für Menschen mit Behinderun­g an.

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