Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Dem Wald geht es schlechter als erwartet
53 Millionen Euro pro Jahr sollen vor allem den Waldbesitzern im Südwesten helfen
STUTTGART - Die Trockenheit hat dem Wald in Baden-Württemberg mehr zugesetzt als bisher gedacht. „2018 und 2019 waren für den Wald negative Rekordjahre“, sagte Forstminister Peter Hauk (CDU) am Donnerstag in Stuttgart. Mehr als vier Millionen Kubikmeter beschädigtes Holz seien verarbeitet worden. Die Experten gehen von sechs Millionen Kubikmeter bis Ende des Jahres aus. Dürre, Schneebruch, Stürme und Borkenkäfer seien dafür verantwortlich, dass in diesem Jahr 60 Prozent der geschlagenen Bäume beschädigt seien. In normalen Jahren seien es neun Prozent, erklärte Hauk.
Dem setzt der Minister einen Notfallplan entgegen, den er im September angekündigt hatte. Nachdem der Landtag am Mittwoch den Haushalt für die kommenden beiden Jahre verabschiedet hat, stehen Hauk jedes Jahr 40 Millionen Euro zur Verfügung. Der Bund habe dem Land pro Jahr weitere 12,5 Millionen zugesagt, erklärte der Minister.
Mit dem Geld sollen auch 130 neue Stellen geschaffen werden – gerade in den Forstrevieren. Vor allem aber sollen Waldbesitzer dabei unterstützt werden, beschädigtes Holz zu verarbeiten, damit Borkenkäfer nicht darin nisten können. Und sie sollen ihre Wälder so umrüsten, dass sie dem Klimawandel besser standhalten. Offen ist, ob die Ausnahmegenehmigung zum Einsatz besonders schwerer Transporter im Wald über den Februar hinaus erhalten bleibt. Das sei notwendig, erklärte Jerg Hilt, Sprecher der Forstkammer, die die Interessen der Privatwaldbesitzer vertritt. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat sich dazu noch nicht geäußert.
Generell brauche es Ausnahmeregelungen für Krisenjahre, so Hilt. „Wir haben erlebt, dass es in Krisenzeiten nicht gelingt, schnell genug Lösungen zu finden.“Das müsse im Masterplan Wald 2050 geregelt werden. Dessen Erarbeitung hat Hauk ab kommendem Frühjahr angekündigt.
In Bayern hat Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) dieses Jahr die Mittel zur Förderung „klimastabiler Wälder“um 30 Prozent erhöht. Sie liegen nun bei 38 Millionen Euro. 2020 soll nochmals Geld hinzukommen. Genaue Summen hat Kaniber noch nicht genannt.
BOPFINGEN - Willkommen im Bopfinger Forsthaus. Chef ist hier Rainer Deuschel. Er begrüßt aufmunternd. Dies passt so gar nicht zur gegenwärtigen Waldkatastrophe. Dass Deuschel in der staatlichen Forstaußenstelle des ruhigen, am östlichen Albtrauf gelegenen Städtchens verhältnismäßig entspannt ist, hat seinen Grund. Wo er arbeitet, scheint die Lage der Holzwirtschaft noch tragbar zu sein. „Je weiter man hingegen nach Norden geht, desto schlimmer wird es mit dem Wald“, sagt der altgediente Förster. Schon beim nahen Ellwangen oder dem etwas entfernteren Schwäbisch Hall seien durch anhaltende Trockenphasen sogar „viele Tannen abgestorben“.
Dazu muss man wissen, dass diese Nadelbaumart für die Förster bis vor Kurzem ein Hoffnungsträger in Zeiten des Klimawandels war. Sie wurzelt tief. „Für die lössigen Böden im Virngrund von Ellwangen und im weiteren Jagsttal galt die Tanne deshalb als gut geeignet“, sagt Deuschel. Nun hat sich herausgestellt, dass die andauernde Trockenheit der Jahre 2018 und 2019 nicht nur Spalten im Löss verursacht hat, sondern eben diese Spalten die feinen Wurzeln des Baumes zerstören. Eine unangenehme Überraschung.
Was von Bopfingen bis weit nach Niedersachsen hinein zur Holzwirtschaft zu hören ist, gleicht Hiobsbotschaften: Trockenheit, Borkenkäfer und Stürme haben den Wäldern demnach so zugesetzt, dass sich in ihnen große Lücken bilden. Gleichzeitig drängen Unmengen von Schadholz auf den Markt. Die Folge: ein extremer Preisverfall.
Angeblich gibt es weiter im Harz sogar Forstbetriebe, die das Holz verschenken. Wirtschaftlich gesehen ein GAU. Zumal dann das Geld fehlen könnte, um einen dringend nötigen Ersatz für die kaputten Bäume hochzuziehen. Fast schon apokalyptisch schätzen Forstexperten die Entwicklung ostwärts im benachbarten Tschechien mit seinen Fichten-Monokulturen ein: Über Hunderte von Kilometern sind Waldstücke durch trockene Witterung und Käferbefall vernichtet. Wegen ihrer flachen Wurzeln leidet die Fichte besonders. Jedenfalls dringen aus dem Tschechischen noch zusätzliche Massen an Schadholz auf den Markt. In der Branche ist die Rede von rund 100 Millionen Festmetern in Mitteleuropa.
Da der deutsche Süden nicht auf einem anderen Planeten liegt, ist er von Klimafolgen, Baumschädlingen und turbulentem Holzmarkt ebenso betroffen. Diskutiert wird in Fachkreisen nur, wie stark im Vergleich zu nördlicheren Landstrichen. Finanziell gibt es von der Landesregierung in Stuttgart eine Schätzung.
Schäden in Höhe von 340 Millionen Euro schlügen zu Buche. Bundesweit ist aber die Rede von mehreren Milliarden Euro. „Wir kommen im Moment wohl gerade noch mit einem blauen Auge davon“, meint dann auch Förster Deuschel. Er hat dabei vor allem die Region von der Ostalb über Oberschwaben und das Allgäu bis an den Bodensee im Blick. Um seine Ansicht zu verdeutlichen, führt er einen hinaus in seinen Tätigkeitsbereich.
Mit dem Auto geht es von Bopfingen aus an Schloss Kapfenburg vorbei hinauf aufs Härtsfeld. Deuschel zeigt einen weitgehend gesund wirkenden Mischwald. Er besteht vor allem aus Fichten und Buchen. Erstere gelten traditionell als Brotbaum der Holzwirtschaft. Buchen bilden wiederum in unseren Breiten oft den Grundstock in natürlich wachsenden Wäldern. Das heißt, für beide Gewächse ist der Standort nicht fremd. Aber dennoch stimmt in dem Waldstück beim genaueren Hinschauen irgendetwas nicht. Deuschel erläutert dies schließlich. Der Spezialist zeigt auf Buchen, deren Kronen beschädigt sind. Zu wenig Wasser. Obere Äste verdorren zuerst. Dann weist er auf zurechtgesägte Fichtenstämme – Käferholz. Zu Poldern aufgeschichtet, wartet es auf den Abtransport ins Sägewerk.
„Wir haben es mit dem Käferholz eigentlich gut hinbekommen“, meint Deuschel. Geschädigte Bäume seien von den Waldarbeitern meist rasch aus dem Forst geholt worden. Wichtig, weil der in trockenen, heißen Jahren sehr aktive Borkenkäfer ansonsten schnell weitere Bäume befällt. Wobei die Fichte in Mitteleuropa sein liebstes Opfer ist. Aber auch beim Rausholen hat es mancherorts Probleme gegeben: Wegen der Menge an Schadholz gab es keine ausreichenden Möglichkeiten zum Abtransport – oder die Sägereien zeigten sich bei der Abnahme des Holzes zurückhaltend. Käferholz hat eine mindere Qualität. Wenn es länger liegt, verfärbt es sich vom Rand her.
Was wiederum der Massenanfall von Schadholz und dessen praktisch ramschhafter Zustand für die Preise bedeuten, erklärt Deuschel anhand eines Beispiels. Eines ungefähren, wie er sagt, weil die finanziellen Umstände im Fluss und regional unterschiedlich seien. Der Förster bezieht sich auf einen Kommunalwald in der Nähe. Dort seien rund 700 Festmeter Fichtenstämme angefallen. Der Erlös beim Verkauf ans Sägewerk liege bei 25 Euro pro Festmeter, die Erntekosten beliefen sich auf rund 24 Euro.
Das Rechenbeispiel verweist auf das Dilemma von Waldbesitzern. Für die kommunalen Forsteigentümer meldet sich Kristina Fabijancic-Müller zu Wort. Sie ist Pressesprecherin des baden-württembergischen Gemeindetags. „Aktuell ist der Wald ja unser Sorgenkind“, teilt die Frau mit. Sie lässt durchblicken, dass seine Bewirtschaftung gegenwärtig für manche Kommune eher rote Zahlen bedeutet. Der Wald ist jedoch für Städte und Gemeinden üblicherweise nur ein Nebengeschäft. Dies gilt ebenso fürs Land, den größten Forstinhaber. Anders stellt sich die Situation für Privatwaldbesitzer dar – zumindest wenn sie vom Holzgeschäft leben. „Dieses Jahr ist mit dem Wald kein Geld verdient“, meint Jerg Hilt, Geschäftsführer der baden-württembergischen Forstkammer, der Vereinigung von Privatwaldbesitzern. Betriebe hätten Verluste gemeldet.
Wie bereits Förster Deuschel betont Hilt, dass es auch noch schlimmer hätte kommen können – so wie etwa im Norden.
Andreas Täger, Geschäftsführer der Waldbesitzervereinigung Westallgäu, sagt für seine Region, sie sei im Verhältnis zu anderen Landstrichen in diesem Jahr nicht so sehr von Trockenheit heimgesucht worden. In diesem Fall hat in der Tat die Staulage am Alpenrand beim Regnen nachgeholfen. „Aber kurzzeitige Hitzeperioden haben durchaus auch bei uns zu Schäden geführt“, erinnert Täger. Seine Waldbesitzer hatten aber durch Wetterunbilden ein ganz anderes Problem. Der ungewöhnlich heftige Schneefall zum Jahresanfang hat unzählige Bäume zusammenbrechen lassen. Ein örtlicher Sonderfall beim Anfall von Schadholzmengen.
Täger verweist auf eine weitere Entwicklung: „Privatwaldbesitzer sind gegenwärtig sehr zurückhaltend beim Holzeinschlagen.“Durchaus logisch, wenn viel Material auf dem Markt ist. Gleichzeitig suchen die Sägereien aber Frischholz. „Das ist Mangelware, wird aber wegen der besseren Qualität dringend benötigt“, sagt Armin Baumann. Er ist Chef einer mittelständischen Sägerei bei Wangen im Allgäu. Baumann erklärt, dass etwa für frisches Fichtenholz der Festmeter bei 70 bis 75 Euro liege: „Der Holzmarkt teilt sich – wenig Geld für Schadholz, wesentlich mehr Geld für Frischholz.“Dessen Knappheit bedeutet für mittelständische Sägereien wiederum eine spezielle ökonomische Herausforderung. Anders als die ganz großen Unternehmen versorgen sie sich üblicherweise aus ihrer weiteren Nachbarschaft mit Holz. Ein Herantransport über weite Strecken, erläutert Baumann, sei wegen der Transportkosten unattraktiv.
Offenbar regeln sich die Waldprobleme und die Verwerfungen des Holzmarktes nicht einfach von selber. Weshalb dieses Jahr bereits früh nach der öffentlichen Hand gerufen wurde. Der Freistaat Bayern hat die Förderung für seine 700 000 privaten Waldbesitzer verstärkt. Für die Borkenkäferbekämpfung erhalten sie inzwischen pro Kubikmeter befallenem Holz zwölf statt fünf Euro, wenn schnell abtransportiert wird. In Baden-Württemberg macht das Landwirtschaftsministerium Druck für mehr Hilfe. Dessen Chef Peter Hauk (CDU) ist selber gelernter Förster. Er hat einen Notfallplan für den Wald aufstellen lassen. Durch Bundesund Landesmittel konnte der entsprechende Topf mit 105 Millionen Euro für die nächsten beiden Jahre gefüllt werden. Unter anderem geht es um Wiederaufforstung oder auch Zuschüsse für Privatwaldbesitzer.
Der Bopfinger Förster Deuschel unterstreicht die Notwendigkeit für staatliche Hilfe – zumal der Klimawandel einen weiteren Umbau des Waldes nötig mache. „Die Bedeutung der besonders trockenheitsanfälligen Fichte wird weiter abnehmen“, prophezeit er. Nach den jüngsten Erfahrungen mit Waldschäden sind aber selbst die Fachleute nicht mehr ganz so sicher, wie ein klimastabiler Forst aussehen könnte. Buche? Plötzlich auch in der Krise. Ebenso die Tanne, oder auch die im Rheintal weit verbreitete Kiefer. Womöglich könnte die bisher als robust geltende Douglasie helfen. Sicher ist das aber nicht. Selbst die Einschätzung des künftigen Holzmarktes ist ungewiss. „Ich erwarte, dass die Krise noch Jahre anhält“, spekuliert Deuschel. Erfahrungen nach dem Jahrhundertsturm Lothar an Weihnachten 1999 legen dies nahe. Damals fiel durch ihn ungefähr so viel Schadholz an wie gegenwärtig. Die Holzpreise brauchten lange, bis sie sich erholten.
„Wir kommen im Moment wohl gerade noch mit einem blauen Auge davon.“
Förster Rainer Deuschel über die Lage des Waldes auf der Ostalb