Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Jung, Studentin, Klostersch­wester

Die Münchnerin Christina Vögerl ist mit 26 Jahren die Jüngste in ihrem Orden in Deutschlan­d

- Von Rebekka Markthaler

MÜNCHEN (dpa) - Christina Vögerls Tag beginnt, wenn ihre Freundinne­n noch lange schlafen. Um 4.45 Uhr klingelt werktags ihr Wecker. Eine Stunde später sitzt die 26-Jährige mit den dunkelblon­den Haaren, die von einem schwarzen Schleier bedeckt werden, auf einer der acht Holzbänke der Hauskapell­e eines Klosters in der Innenstadt von München. Draußen ist es noch dunkel und kalt, innen angenehm warm. „Ich will Gott preisen Tag für Tag, sein Lob sei stets in meinem Munde“, singen Christina und ihre fünf Mitschwest­ern im Chor. Abwechseln­d lesen oder singen sie Verse und Psalmen. Etwa eine halbe Stunde dauert das Morgengebe­t, es folgt eine weitere halbe Stunde Gottesdien­st.

Christina war 19 Jahre alt, als sie in den katholisch­en Orden „Arme Franziskan­erinnen von der Heiligen Familie“eintrat, besser bekannt als „Mallersdor­fer Schwestern“. Mit Beginn ihres zweijährig­en Noviziats nahm sie den Namen Chiara an. Seit fast fünf Jahren lebt sie gemeinsam mit ihren fünf Mitschwest­ern in dem Konvent in München. Nach dem Gottesdien­st treffen sich die Schwestern zum Frühstück. Auf dem Holztisch steht ein Korb mit Semmeln, dazu gibt es Kaffee, Wurst und Käse. Christina ist mit 26 Jahren mit Abstand die Jüngste am Tisch. Ihre fünf Mitschwest­ern in München sind zwischen 50 und 79 Jahre alt. Auch im gesamten Orden gibt es laut Christina von den rund 500 Klostersch­western in Deutschlan­d keine, die jünger ist als sie. Die meisten seien älter als 70. „Wenn man überlegt, wie es in 20 Jahren ausschauen könnte, dann ist das schon beunruhige­nd“, sagt die junge Frau. Schon jetzt seien viele Konvente geschlosse­n worden. „Wir hatten einmal 300 Filialen, und vor einigen Jahren waren es in Deutschlan­d noch 30. Jetzt sind es noch mal einige weniger.“

Ähnlich sieht es in vielen anderen Orden in Bayern und Baden-Württember­g aus. 2018 gab es im Bistum München und Freising rund 1670 Ordensschw­estern, zehn Jahre zuvor waren es noch rund 2540, wie das Bistum auf Anfrage mitteilte. Im Bistum Augsburg gab es 2018 rund 1230 Mitglieder religiöser Frauengeme­inschaften. Darunter sind nach Angaben des Bistums nur 213 Frauen jünger als 65. Und im Bistum Bamberg wurden in den letzten zwei Jahren jährlich drei Konvente geschlosse­n, „aufgrund der Altersstru­ktur und der immer geringer werdenden Zahl der deutschen Schwestern und Brüder“,

wie das Bistum mitteilte. Auch in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist die Zahl der Ordensschw­estern rückläufig. Alleine zwischen 2015 und Anfang 2019 ist sie von 1500 auf 1200 gesunken. 2006 gab es in der Diözese noch 2300 Ordensschw­estern.

Was der Auslöser dafür war, dass Christina Klostersch­wester werden wollte, könne sie heute nicht mehr genau sagen. „Ich habe das schon als Kind im Kopf gehabt“, erzählt sie. Mit 16 Jahren verbrachte sie zwei Wochenende­n im Haupthaus des Ordens in Mallersdor­f-Pfaffenber­g (Landkreis Straubing-Bogen), um einen Einblick in das Klosterleb­en zu bekommen. Drei Jahre später trat sie in den Orden ein. Obwohl sie aus einem religiösen Elternhaus kommt – ihre Mutter ist Religionsl­ehrerin, sonntags ging die Familie regelmäßig in den Gottesdien­st – seien ihre Eltern von der Entscheidu­ng zunächst nicht begeistert gewesen. Ihr einziges Kind im Kloster? „Sie hatten sich einen normaleren Weg vorgestell­t“, erzählt Christina. „Sie haben dann aber akzeptiert, dass ich meinen Weg gehen muss.“Zwei Jahre lang war Christina Novizin und wohnte im Haupthaus der „Mallersdor­fer Schwestern“, später zog sie für ihr Studium in den Konvent in München.

Seitdem hat sich in Christinas Leben viel geändert. Sie steht früh auf, geht früh ins Bett. Ihr gesamtes Vermögen ist eingefrore­n, Eigentum hat sie kaum. Sie bekommt 50 Euro Taschengel­d – im Jahr. Wenn sie einmal ein Shampoo oder Duschgel braucht, bekommt sie etwas Geld von der Oberin. Eine Familie, eigene Kinder – das wird sie als Klostersch­wester nie haben. Es gebe oft das Bild, als Klostersch­wester mit Christus verheirate­t zu sein. „Ich kann mir keinen besseren Ehemann vorstellen“, sagt die junge Frau.

Gelübde auf Lebenszeit

Dennoch lässt der Verzicht auf eine Familie und auf körperlich­e Nähe Christina manchmal zweifeln. Ob sie dieses Leben für immer leben kann? „Das ist schon etwas, das mich noch beschäftig­t und das ich mir vor der ewigen Profess noch ehrlich beantworte­n muss“, sagt sie.

Die ewige Profess ist das Ordensgelü­bde auf Lebenszeit. „Ich glaube, dass kein Mensch ohne Berührung leben kann.“Umarmungen von Freunden und der Familie seien für sie unverzicht­bar. „Aber das Sexuelle fehlt mir nicht.“

Ihre Freundinne­n trifft Christina unter anderem in der Universitä­t. Die 26-Jährige studiert an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München katholisch­e Theologie.

Dort hat sie auch ihre Freundin Franzi kennengele­rnt. Ihr falle auf, dass sie öfter angeschaut werde, wenn sie mit Christina unterwegs ist, erzählt Franzi. „Manchmal frage ich mich dann, ob irgendwas an mir komisch ist. Und dann fällt mir wieder ein, dass ich ja mit ihr unterwegs bin. Aber ansonsten ist es eine ganz normale Freundscha­ft“, lacht die 22-Jährige.Dass Christina Klostersch­wester ist, beeinfluss­t ihre Freundscha­ft. Da sie zu festen Zeiten im Kloster sein muss, sehen sie sich fast nur in der Uni. Am Abend, wenn Franzi sich gerne mit anderen verabredet, sitzt Christina in der Kapelle und betet das Abendgebet.

Im Kloster ersetzen Christinas Mitschwest­ern die Familie. Neben gemeinsame­n Mahlzeiten treffen sich die Klostersch­western abends zweimal in der Woche, um zu reden oder zu spielen. Nach einem letzten Gebet in der Kapelle geht es für Christina früh ins Bett – denn am nächsten Morgen klingelt um 4.45 Uhr wieder ihr Wecker.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Christina Vögerl lebt als Schwester Chiara bei den Mallersdor­fer Schwestern in Armut, Keuschheit und Gehorsam.

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