Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Azteke unterm Asphalt

Archäologe­n suchen unter einer Straße in Mexiko-Stadt das Grab eines Königs

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Von Andrea Sosa Cabrios

GMEXIKO-STADT (dpa) - Unter der Millionenm­etropole Mexiko-Stadt liegen die Überreste von Tenochtitl­an. Von hier aus regierten die Azteken ihr riesiges Reich. Tempel und Opfergaben wurden bereits entdeckt, doch jetzt wollen die Forscher einen Coup landen: Sie suchen nach dem Grab der Könige.

Fünf Meter unter dem geschäftig­en Trubel von Mexiko-Stadt kauern die Archäologe­n auf der Erde. Mit feinen Pinselstri­chen legen sie die Opfergaben der Azteken frei. „Dort sind Perlen aus grünem Stein zu erkennen“, sagt Tomás Cruz, der bei den Ausgrabung­en im Zentrum der Mega-Metropole mitarbeite­t, und deutet auf den Boden. Mehr als 500 Jahre sind seit der Blütezeit des Imperiums bereits vergangen, jetzt könnten die Forscher erstmals ein Grab eines Aztekenher­rschers entdecken.

Direkt gegenüber dem Templo Mayor von Tenochtitl­an (1325-1521), der ehemaligen Azteken-Hauptstadt, haben Archäologe­n in den vergangene­n Jahren bereits zahlreiche Schätze ausgegrabe­n. Ihnen fehlt aber noch ein wichtiges Teil im Puzzle des aztekische­n Imperiums: das Grab eines Tlatoani, eines Herrschers. „Wir müssen all diese Steinbehäl­ter mit Opfergaben ausgraben“, sagt Leonardo López Luján, der das Team leitet. „Danach müssen wir tiefer gehen, auf der Suche nach den Resten der Könige.“Im Jahr 2011 haben die Wissenscha­ftler bereits einen entscheide­nden Fund gemacht: Sie entdeckten ein Cuauhxical­co, eine runde Plattform von 16 Metern Durchmesse­r und 2,5 Metern Höhe.

An dieser Stelle oder in der Nähe sollen historisch­en Aufzeichnu­ngen zufolge drei Brüder begraben worden sein, die zwischen 1469 und 1502 auf dem Thron aufeinande­r folgten: Axayácatl, Tizoc und Ahuítzotl. Sie waren Vorgänger des berühmten Moctezuma II., den der Spanier Hernán Cortés mit seiner Ankunft im Jahr 1519 überrascht hatte.

Der Haupttempe­l war der religiöse Mittelpunk­t Tenochtitl­ans, eine Stadt, die damals mit 200 000 Einwohnern zu den größten der Welt gehörte. Der Tempel wurde in mehreren Etappen bis zu seiner Zerstörung durch die Spanier immer weiter ausgebaut. Zu seinen Füßen soll die Asche der Herrscher bestattet worden sein.

„Wir graben gerade dort, wo der Cuauhxical­co war“, erklärt die Archäologi­n Alejandra Aguirre. Ihr Kollege Antonio Marín weist daraufhin, dass dort mehrere Opfergaben mit Tieren, die als Krieger gekleidet waren, gefunden wurden, wie auch die Überreste eines geopferten Kindes. Sie waren für den Sonnen- und Kriegsgott Huitzilopo­chtli bestimmt. Die Opferung von Menschen an ihre Götter war bei den Azteken und bei anderen Völkern Mesoamerik­as üblich. Auch ein großer Monolith der Erdgöttin Tlaltecuht­li wurde in dieser Ausgrabung­sstätte vor ein paar Jahren gefunden.

Wenn ein Tlatoani starb, verbrannte­n die Azteken seine Überreste die ganze Nacht unter freiem Himmel, eingewicke­lt in ein Bündel. Am nächsten Tag wurden die Knochenund Aschestück­e in Gefäßen vor den 45 Meter hohen Templo Mayor gelegt. Die Azteken bauten keine großen Grabkammer­n in ihren Tempeln. Das königliche Grab wird also nicht so aussehen wie jene der ägyptische­n Pharaonen oder der Maya-Herrscher, sagt López Luján. „Was wir uns vorstellen, ist, dass auf einer kleinen Fläche all diese Überreste und Opfergaben zu finden sein werden.“

„Was wir uns vorstellen, ist, dass auf einer kleinen Fläche all diese Überreste und Opfergaben zu finden sein werden.“

Leonardo López Luján, Leiter des Archäologe­n-Teams

Auf und mit den Trümmern von Tenochtitl­an bauten die Spanier die neue Hauptstadt des Vizekönigr­eichs Neuspanien. Die sterbliche­n Überreste von Moctezuma II. und seinen beiden Nachfolger­n, die inmitten der Turbulenze­n der Eroberung starben, gelten als vermisst. Fest steht allerdings, dass sie nicht am Templo Mayor begraben wurden.

Tomás Cruz liegt auf dem Boden auf einer kleinen Matratze. Sorgfältig legt er jedes kleine Stück der Opfergabe eines weiblichen Jaguars frei. „Da ist noch ein blaues schlangenf­örmiges Zepter zu sehen“, sagt er. Obwohl Tenochtitl­an auf einer Insel errichtet wurde, inmitten eines Sees auf 2200 Metern Höhe, befanden sich unter den Opfergaben Jaguare, Wölfe, Korallen, Muscheln und Kugelfisch­e aus dem Meer. Nichts davon existierte in der unmittelba­ren Umgebung. Das heißt: Die Opfergaben wurden von weither gebracht und sind Zeugen der großen Ausbreitun­g des Imperiums.

Innerhalb von zwei Jahren machten die einfallend­en Spanier unter Cortés die Stadt dem Erdboden gleich und löschten damit die aztekische Hochkultur aus. Modernere Waffen machten sie im Kampf gegen die Azteken nahezu unbesiegba­r. Zudem bildeten die Spanier Allianzen mit anderen indigenen Völkern der Region, um die Azteken niederzuri­ngen. Eingeschle­ppte Krankheite­n wie Masern und Pocken rafften dazu Hunderttau­sende Menschen dahin.

Das Königsgrab könnte wichtige Informatio­nen über den Herrscher, seinen Hof im Herzen des Aztekenrei­ches und die Beziehunge­n zu anderen Kulturen in der Region liefern. „Das ist, was wir jetzt gerade suchen“, sagt López Luján. „Ich bin überzeugt, dass es da ist, aber vielleicht liegt es auch ein bisschen weiter dort drüben und wir werden nicht jene sein, die es finden.“

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FOTO: JAIR CABRERA TORRES/DPA Fünf Meter unter dem geschäftig­en Trubel von Mexiko-Stadt arbeiten Archäologe­n. Sie sind auf der Suche nach Gräbern aztekische­r Herrscher.
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FOTO: JAIR CABRERA TORRES/DPA Leonardo López Luján, der Leiter des Archäologe­n-Teams, betrachtet einen Plan der archäologi­schen Stätte.

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