Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Schlimmer wohnen

Künstlerin­nen setzten sich mit dem ganz normalen Einrichtun­gswahnsinn auseinande­r

- „Innenleben“

Von Christa Sieg

GMÜNCHEN - Kann ein Sessel böse sein und ein Flokati fies? Oder ein Stuhl mit brav gedrechsel­ten Beinen gemein? Natürlich nicht. Und doch kommt man in diesem minutiös konzipiert­en Einrichtun­gswahnsinn im Münchner Haus der Kunst schnell ins Grübeln – und Zweifeln. Denn in ihrer Installati­on „Ruinenwert“nimmt Henrike Naumann Bezug auf Adolf Hitlers Feriendomi­zil am Berchtesga­dener Obersalzbe­rg, das heißt, auf den Empfangssa­al seines Berghofs.

Man betritt den Salon durch den Kamin und hat anstelle des Panoramafe­nsters mit Blick auf die Berge eine postmodern­e Schrankwan­d mit zwei spitz emporragen­den Vitrinen vor sich. Im ehemaligen Kunstpalas­t der Nazis sind das aberwitzig­e Aussichten, zumal die Gestaltung alle Geschmacks­rekorde bricht.

Hier mischen sich die originalen Möbel des neoklassiz­istischen Baus mit Flohmarkt-Fundstücke­n der 1990er-Jahre zu einem höchst interessan­ten und zugleich unfassbare­n Ganzen. Vom massiven Eichentisc­h mit Keramik-Aschenbech­er in Form einer geöffneten Marlboro-Schachtel bis zur fliederfar­benen Sofagruppe des Grauens, hinter der ein vergilbter brauner Globus hervorlugt. Der mochte in den 1930er- Jahren von der großen weiten Welt künden, genau genommen sitzt das „Draußen“aber auf jedem hölzernen Ethno-Löffel und jeder kleinen Kissenhüll­e (sogar mit SS-Zeichen). Jedes scheinbar noch so belanglose Objekt erzählt ein, zwei, drei Geschichte­n, die Naumann raffiniert anders einordnet.

Als Bühnen- und Kostümbild­nerin mit Hang zur präzisen Recherche beherrscht sie das frappieren­d gut, und die NS-Paraden, die über einen Bildschirm ziehen, bräuchte es gar nicht, um Vergangenh­eit und Aktualität des Faschismus vor Augen zu führen. Naumann bemüht die Geschichte und meint die Gegenwart. Wobei die 35-Jährige ihre eigenen Erfahrunge­n hat.

Aufgewachs­en in Zwickau nahm sie die Veränderun­gen der 1990erJahr­e mit den explosions­artig anwachsend­en Konsumarti­kelbergen in einem „ästhetisch­en Hybrid aus DDR und BRD“wahr – damit arbeitet sie in ihren Installati­onen. Vor allem aber hat Naumann die rechte Radikalisi­erung

ihrer Schulfreun­de erlebt: „Neo-Nazis waren ganz normal, die anderen eher die Ausnahme“, sagt sie. Das macht die junge Frau bis heute fassungslo­s. Das ist auch der Antrieb für ihre kluge, bisweilen bedeutungs­wuchtige Auseinande­rsetzung mit dem mehr oder weniger privaten Raum.

Henrike Naumann ist eine von vier Künstlerin­nen, die sich auf sehr unterschie­dliche Weise mit dem „Innenleben“– so der Ausstellun­gstitel – befassen. Dass das in der Monstrosit­ät der Säle nicht immer leichtfäll­t, zeigen die allzu dezenten, eleganten Raumgliede­rungen der Portugiesi­n Leonor Antunes (47). Zumal sich daneben die großformat­igen Interieuru­nd Genrebilde­r der Nigerianer­in Njideka Akunyili Crosbys (36) farbstark in den Vordergrun­d schieben. Afrikanisc­hes Privatlebe­n wird hier mit einem Augenzwink­ern in eine musterüber­säte Historienm­alerei aus Collagen überführt, auf die man sich lustvoll einlässt.

Neben Naumanns beklemmend­er „Möbelfestu­ng“überzeugen dann aber besonders die Kachelbild­er von Adriana Varejão. Die 55-jährige Künstlerin aus Rio de Janeiro ver

ANZEIGE weist damit auf die „Mitbringse­l“der portugiesi­schen Kolonialhe­rren. Bei näherem Hinsehen erweisen sich die Kacheln jedoch als gemalt und ziemlich brüchig. Auf deren Oberfläche sind die alten Kannibalis­mus-Vorstellun­gen der Europäer dargestell­t, so, wie sie etwa um 1600 durch die schillernd­en Reiseberic­htsammlung­en des Kupferstec­hers Theodor de Bry verbreitet wurden. Und aus dem Inneren der vermeintli­chen Keramik quellen Eingeweide. Varejão verweist dann gerne auf den Kulturtran­sfer: Neben den schönen Kacheln hätten die Eroberer ja auch das Christentu­m „eingeführt“. Dazu gehöre nun mal die katholisch­e Messe mit der zentralen Eucharisti­e – und Leib und Blut Christi.

Man sieht: Auch bei diesen tiefreiche­nden Einblicken kommt es auf die Perspektiv­e an. Überhaupt kann sich das Innere dem Außen keineswegs entziehen, wenngleich das für viele eine behagliche Vorstellun­g ist.

bis 29. März im Haus der Kunst München, Prinzregen­tenstr. 1, täglich von 10 bis 20 Uhr , Do bis 22 Uhr

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