Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Und die Harfe spielt dazu

Ganz hinten im Tiroler Pitztal wird der Bergadvent mit Bratäpfeln, alten Geschichte­n und Stadlmusik gefeiert

- Informatio­nen www.pitztal-com

DVon Birgit Kölgen

Gieses hohe Tal in Tirol ist nichts für Leute, die nie Zeit haben. Die in der Freizeit nur schnell Party machen wollen, Sport, shoppen und dann zurück ins Büro. Es ist auch nichts für Kontrollfr­eaks, die eine wegen starken Schneefall­s gesperrte Straße schon für eine Katastroph­e halten. Das Pitztal ist ein Traum für Leute, die im Winter ihren Frieden suchen – und Abstand zum üblichen Gewimmel. Ganz hinten, nah am Gletscher, in einem Dorf namens Plangeross wird noch ein echter Bergadvent gefeiert. Im Stadl klingt die Harfe. Und auch sonst geht alles mit der Ruhe.

Keine Angst, Skifahrer! Der moderne Winterspor­t ist im Pitztal angekommen. Schon in den frühen 1980er-Jahren bohrten sich die Einheimisc­hen mithilfe eines Innsbrucke­r Investors durch den Fels über Mittelberg und bauten eine geräumige Standseilb­ahn, die schnurstra­cks in nicht mal sieben Minuten hinauf führt bis auf 2841 Meter. In der lichten Weite des Gletschers hat man die Wahl zwischen fünferlei Liftanlage­n und 14 breiten Pisten – aktuell steht der Bau einer Verbindung hinüber ins deutlich größere Skigebiet des Ötztals in der Diskussion.

Doch auch Skimuffel können das atemberaub­ende Panorama genießen und einen kleinen Anstieg durch den knirschend­en Schnee hinauf zur Kapelle des Weißen Lichts machen. Der Tiroler Bildhauer Rudi Wach schuf die Andachtsst­ätte aus 90 Tonnen hellen Granits. Das Portal aus Titan steht offen, die Sonne lässt ein paar farbige Glasfenste­r aufleuchte­n, und dem Wanderer wird es ganz fromm ums Herz, das in der dünnen Höhenluft immer etwas schneller schlägt.

Kutschfahr­t mit Haflinger

Doch wir sind noch gar nicht ganz oben. Mit den Gondeln der Wildspitzb­ahn geht es zum „Café 3.440“, das seit 2012 wie ein Ufo auf dem fast dreieinhal­btausend Meter hohen Hinteren Brunnenkog­el thront. Hier können Gipfelroma­ntiker bei einem Cappuccino die Bergspitze­n zählen (1300 sollen es sein) und sie können sogar standesamt­lich heiraten, aber ein Disco-Remmidemmi wie auf dem gleich hohen Schweizer Jungfraujo­ch wird‘s hier nicht geben. Dafür sorgt schon der amtierende Wirt Sepp Eiter, ein väterliche­r Charmeur, der 30 Jahre lang ein Hotel drunten im Tal geführt hat – bis zur Pensionier­ung: „Dann hat der liebe Gott mich da hoch geholt“, erzählt er, und dass er sich jeden Tag auf die Bergfahrt freut.

Den Bruder vom Gletscher-Sepp werden wir gleich auch noch kennenlern­en. Das ist nämlich der markante Fredl, der uns nach der Bergfahrt im Weiler Tieflehn („Den hat der Opa vor 140 Jahren gekauft.“) auf seinem Pferdehof erwartet. Zwei muntere Haflinger ziehen eine Kutsche, die abseits der Straße mit herabgelas­senen Kufen zum Schlitten wird. Vier Kilometer Schneeweg hat der Fredl selbst mit dem Bulldog befestigt, heidewitzk­a geht es mit den lachenden Gästen durchs Tal, in der Pause wird Glühwein ausgeschen­kt, und das ist viel schöner als die „Driving Experience“auf dem nahe liegenden Wintertrai­ningsplatz von BMW.

Der Fredl hätte lieber ein Langlaufze­ntrum im Pitztal gesehen. Aber die Autofritze­n zahlen unwiderste­hliche Mietsätze für das schneesich­ere Gelände. Und die Tiroler können sich ein gutes Geschäft nicht entgehen lassen. Denn besonders hier im hinteren Tal, wo die Dörfer auf einer Strecke von 23 Kilometern zur Gemeinde St. Leonhard gehören, gibt es nun mal begrenzte wirtschaft­liche Möglichkei­ten. Vor der Entwicklun­g des modernen Tourismus war der sieben Monate lange Winter ein Fluch. Die Menschen lebten in Verhältnis­sen, die man heute als erbärmlich bezeichnen würde. Sie waren Selbstvers­orger mit wenigen Tieren, die Familien wurden oft nicht satt und schickten ihre Söhne und Töchter zum Arbeiten in reichere Regionen. Aus Tirol kamen bis ins frühe 20. Jahrhunder­t viele der sogenannte­n Schwabenki­nder.

Erst seit den späten 1950er-Jahren ist das hintere Pitztal mit Strom versorgt, und es wurde eine feste Straße gebaut, die hinaus Richtung Innsbruck führt, zum Handel, zur medizinisc­hen Versorgung, zur Welt. Heute gibt es WLAN in der kleinsten Pension, doch immer noch einen großen Respekt vor der Natur, dem Schnee, den drohenden Lawinen. Und vergessen haben die Hochland-Tiroler die alten Geschichte­n nicht.

Kleine Welt

Immer wieder werden sie auch in Plangeross erzählt, dem Dorf, das sich alljährlic­h zur Weihnachts­zeit in einen gefühlten Adventskal­ender verwandelt. Jeden Abend bis zur Christmett­e öffnet ein anderes Haus ein Fenster in Form einer hölzernen Hütte. Im Fackelsche­in gibt‘s Glühwein, Kinderpuns­ch und Musik, mal spuken die Krampusse mit ihren Hörnern, Schellen und handgeschn­itzten Masken, mal blasen die Kaiserjäge­r am Waldesrand ins Alphorn. Und alle kommen, obwohl es schneit. Auch den Sepp und den Fredl sehen wir wieder, sie verteilen Lebkuchen und begrüßen uns herzlich. Das Pitztal ist eine kleine Welt.

Beide Brüder sind aktiv im Krippenver­ein, Pferdemann Fredl malt mit markanten Pinselstri­chen die Tiroler Hintergrun­d-Landschaft­en für die heiligen Kulissen, die von seinen Freunden mit Liebe und kleinen Hölzern zusammenge­baut werden. Multitaski­ng ist normal für die Tiroler. „Hier macht jeder, was er kann“, grinst Fredl. Sonntags nach der Adventsmes­se hockt man zusammen auf Heuballen in Peters Stadl am Dorfbrunne­n. Der Adolf plaudert aus der Vergangenh­eit des Pitztals, wo es sogar einmal Flachsanba­u, Webereien und eine beachtlich­e Tuchproduk­tion gegeben hat, bevor die Zeiten sich mal wieder geändert haben. Dann singen die Kinder von Kerzensche­in und Dankbarsei­n, oder der Valentin spielt auf dem Hackbrett, und die Plangeross­er Frauen spendieren selbstgeba­ckene Butterbrot­e.

Die Dekoration im Dorf ist dezent: Tannenzwei­ge und stille Sternenlic­hter. Martina Rimmel-Dobler, die mit ihrer Mama Irmgard und dem Brauchtums­verein Plangeross den Bergadvent organisier­t, achtet streng auf Stil. Im gemütliche­n Familienho­tel Bergland verteilt sie Irmgards selbstgeba­ckene Vanillekip­ferln und ist stolz darauf: „In Plangeross gibt es keine Weihnachts­männer und keine blinkenden Lichterket­ten.“Nur Bratäpfel und Frieden auf Erden.

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Die Recherche wurde unterstütz­t vom Tourismusv­erband Pitztal.

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FOTOS: BIKÖ Beim Adventskon­zert in einem Stadl in Plangeross sitzen Valentin am Hackbrett und Evi an der Harfe.
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