Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
X-mas bis zum Abwinken
Zur Sprachkultur gehört schon seit der Antike der Einsatz von rhetorischen Stilmitteln. Sehr beliebt sind Wortspielereien, bei denen Zitate, Titel etc. so verändert werden, dass sie einen anderen Sinn ergeben – pointiert, witzig, ironisierend, boshaft, je nachdem. Da vertauscht man zum einen die Buchstaben. So wurde aus dem Volk der Dichter und Denker beim Kritiker Karl Kraus das Volk der Richter und Henker. Oder aber man wechselt ganze Wörter aus. Bei Erich Kästner klang es nicht minder sarkastisch, wenn er Goethes Land, wo die Zitronen blühen mit Blick auf Deutschland ummünzte zum Land, wo die Kanonen blühen.
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Im Augenblick erleben wir eine fast schon epidemische Verbreitung dieses sprachlichen Tricks – allerdings auf eher ärmlichem Niveau. Kaum ein Werbespot der großen Discounter und Lebensmittelketten in diesen profitträchtigen Wochen vor dem Fest, in dem nicht bekannte deutsche Lieder zur Advents- und Weihnachtszeit verfremdet werden. Da preist man mit Lasst uns froh und munter punkten einen besonderen Rabatt an. Immer wieder aufgewärmt erklingt der Slogan Leise rieselt der Preis. Und fast jeden Tag werden wir mit einer neuen Verballhornung von O Tannenbaum beglückt – nur ein Beispiel: O Ententraum, o Ententraum, wie zart sind deine Flügel …
Nun zählen manche dieser Lieder, die hier als Steinbruch für nassforsche Werbetexter dienen, nicht gerade zu den gehaltvollsten der deutschen Weihnachtsmusik. Doch den brutalen Einbruch des Kommerzes in die von ihnen beschworene weihnachtliche Sphäre haben sie nicht verdient. Obwohl die fortschreitende Laisierung und Pluralisierung unserer Gesellschaft ein Faktum ist, gibt es immer noch Abertausende von Christen, die zusammenzucken, wenn sie auf riesigen Plakatwänden O du günstige lesen müssen.
Parallel dazu tönen aus allen RadioSendern immer mehr jener X-masSongs, die doch nichts anderes als den Grad unserer wachsenden Amerikanisierung spiegeln. Dreaming of A White Christmas bis zum Abwinken – ob von Bing Crosby, Elvis Presley, Frank Sinatra, Cliff Richard, Robbie Williams oder Helene Fischer. Und wenn nicht dieser Schmachtfetzen, dann Wonderful Christmas Time, We Wish You A Merry Christmas, I’ll Be Home for Christmas, Driving Home for Christmas…. Darunter mögen auch ganz gute Songs sein, etwa der letzterwähnte. Aber die meisten sind so seicht, dass dagegen manche der doch gerne pauschal verlästerten deutschen Weihnachtslieder eine feine Note haben.
Und das Aberwitzige dabei: Viele werden uns auch noch vollmundig als US-Songs zum Fest angepriesen, obwohl sie mit dem Kern dieses Festes überhaupt nichts zu tun haben – und man nebenbei auch merkt, dass die Moderatoren schlichtweg zu bequem waren, um richtig hineinzuhören. Bei What Christmas Means to Me besingt Stevie Wonder ein flottes Techtelmechtel unterm Christbaum. Und wenn Schulkinder bei der Weihnachtsfeier auf den uralten WhamHit Last Christmas tanzen, mag das ganz nett sein. Allerdings dreht es sich dabei um den Abgesang auf eine zerbrochene Liebe, und das geht an den meisten vorbei. Kein Wunder, es wird ja englisch gesungen.
In Anbetracht des nahenden Festes der Liebe brechen wir hier ab. Nur noch eines: Gesegnete Weihnachten – im wahren Sinn des Wortes!
Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg