Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Coach unter Druck Tim Walter muss mit dem VfB in Hannover siegen
VfB-Trainer Tim Walter steht bei Hannover 96 vor einem Schicksalsspiel
STUTTGART - Preisfrage: Was kann der VfB Stuttgart mit am Besten weltweit, auch als Zweitliga-Dritter, als maue Nr. 21 in Deutschland? Ganz einfach: sein Stadion füllen. Mit einem Schnitt von 52 000 Zuschauern in den Jahren 2013 bis 2018 liegt der VfB im globalen Ranking auf Rang neun, und auch heuer sieht es gut aus mit der Unterstützung von den Rängen. Der Club ist zuversichtlich, seinen nationalen Zweitliga-Rekord von 2017, der bei 50 717 Fans liegt, im Mai zu knacken. Auch in einer anderen Statistik dürfte der VfB im globalen Ranking weit vorne auftauchen – in der der Trainerwechsel. Gleich 16 gab es in den letzten zehn Jahren, und wenn das stimmt, was dieser Tage der „kicker“mutmaßt und andeutet, dürfte auch diese eher traurige Höchstleistung bald schon wieder überboten sein.
Tim Walter, der mit viel Vorschusslorbeeren im Sommer aus Kiel gekommene Trainer, steht offenbar bereits am Ende seiner Amtszeit. „Nur noch ein Wunder“helfe dem Coach am Samstag (13 Uhr/Sky) im Duell bei Mitabsteiger Hannover 96, um nicht in der Winterpause seinen Posten zu räumen, schreibt der „kicker“. Sprich: Ein Sieg sei Pflicht. Zu bescheiden waren die Auftritte in der Hinrunde, zu wenig Punkte holte der VfB, als dass der 44-Jährige noch auf weitere Bewährungswochen hoffen darf. Zwar ist Stuttgart nach wie vor Dritter punktgleich hinter dem Hamburger SV, aber wie es um die wahre Leistungsstärke steht, zeigt im Fußball auch das Torverhältnis: Die Verfolger und Underdogs aus Heidenheim (plus 7) und Osnabrück (plus 8) sind besser als die Stuttgarter (plus 6).
Die VfB-Führung, Sportchef Thomas Hitzlsperger und Manager Sven Mislintat, gingen zuletzt bereits subtil auf Abstand zu Walter. Hitzlsperger meinte, kein Trainer in der Branche habe eine Arbeitsgarantie, Mislintat fügte an, Schönheit und dominantes Spiel reichten nicht, irgendwann müsste es Ergebnisse geben. Und Walter? Der reagierte nervös. Wenn ein Trainer überraschend seinen Torhüter austauscht – Bredlow kam für Kobel –, spiegelt das auch immer seine Angst. Wenn ein Coach, wie nach dem 1:1 am Montag in Darmstadt geschehen, seine Führungskräfte Holger Badstuber, Mario Gomez, Santiago Ascacibar und Philipp Förster maßregelt, zeigt das, dass ihm wenig anderes einfällt, als den Druck im Stuttgarter Kessel nach unten weiterzugeben.
Dass Walter seinen Spielstil ändert, wäre eine andere Möglichkeit, der scheint aber eine Art Credo für ihn zu sein. „Von der Art und Weise, wie wir spielen, bin ich überzeugt. Aber ich muss mich ständig entwickeln“, sagte Walter der „Sport Bild“und deutete zumindest ein paar defensivere Gedanken an: „Wenn Dinge nicht funktionieren, ändere ich sie: das kann eine zusätzliche Absicherung sein oder auch eine tieferstehende Abwehrkette. Vom Ballbesitz möchte ich aber nicht wegkommen. Ich will aktiv sein“, sagte er.
Das wird auch weiter nötig sein, denn der im Sommer runderneuerte VfB hat seit Monaten keine zwei Spiele in Folge mehr gewonnen. „Dass in so einem zusammengestellten Gebilde nicht alles glatt läuft, war uns allen klar. Aber unser Anspruch ist und bleibt der Aufstieg“, sagt Walter, doch wenn er in Hannover verlieren sollte, könnte ein anderer das Vertrauen bekommen, den Anspruch umzusetzen. Markus Anfang, in Köln im April auf
„Das Einzige, was konstant ist, ist unsere schlechte Chancenverwertung.“
VfB-Trainer Tim Walter
Aufstiegskurs liegend entlassen, ist offenbar ein Kandidat, er kennt die 2. Liga. Der „kicker“neigt bereits zu Wortspielen und titelt: „Alles auf Anfang mit Anfang?“Die SZ könnte „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“anfügen, nur gab es im letzten Jahrzehnt so viele Neuanfänge beim VfB, dass man froh wäre, es gäbe auch mal wieder das stabile Zuverlässige. Der Ex-Mainzer Sandro Schwarz ist der Kandidat Nr. 2.
Noch aber ist es nicht so weit, Walter will kämpfen: „Wir wollen am Samstag das Spiel gewinnen, was dann kommt, sehen wir dann“, sagt er und wünscht sich „konstanter zu werden. Das schaffen wir bereits, im Training. Die Trainingsleistung ist schon viel konstanter als in den Wochen zuvor. Die Schwankungen sind auch im Spiel nicht mehr so groß.“Und doch: „Das Einzige, was konstant ist, ist unsere schlechte Chancenverwertung.“
Mehr Stabilität in der Defensive könnte in Hannover Kapitän Marc Oliver Kempf geben, der nach seiner Rotsperre zurückkehrt. Hannovers Trainer Kenan Kocak, Nachfolger von Mirko Slomka, fordert seine Truppe derweil auf, sich kurz vor Weihnachten auf sich selbst zu besinnen: „Die Situation beim VfB ist für uns irrelevant. Wir haben selber genug Probleme.“Als Liga-14. müssen die Niedersachsen aufpassen, nicht durchgereicht zu werden. Sie hätten liebend gerne die Stuttgarter Luxusprobleme.