Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Premier ist allzu hochmütig
Dterhauses ist die logische Folge der Wahl. Mit eindeutiger Mehrheit haben die Briten Boris Johnson das Mandat dafür erteilt, den 2016 beschlossenen EU-Austritt in die Tat umzusetzen. Der Premierminister packt die Aufgabe mit charakteristischer Energie an. Das kann nur gut sein für Großbritannien und für das Vertrauen der Bürger in ihre demokratischen Institutionen.
Johnson spricht auch von Heilung. Er will vom Gegensatz zwischen Brexiteers und EU-Freunden am liebsten nichts mehr hören. Diese „Heilung“wird Wunschdenken bleiben. Das liegt teilweise an der etwas albern wirkenden Hartnäckigkeit, mit der viele Labour-Leute, Liberaldemokraten und schottische Nationalisten die negativen Brexit-Folgen beschwören. Augenrollend sprechen sie von wirtschaftlichem Verfall und internationaler Isolation; Anzeichen gibt es dafür einstweilen keine.
Heilung muss aber, wenn sie gelingen soll, vom Premier ausgehen. Davon kann bisher keine Rede sein. Johnsons gute Laune nach dem klaren Wahlsieg ist verständlich. Leider grenzt sie an Hochmut. Alle Einwände oder Verbesserungsvorschläge vom Tisch zu wischen, entweder mit einem Scherz oder mit bombastischen Sprüchen, spricht nicht für Kompromissbereitschaft.
Das modifizierte Austrittsgesetz deutet in dieselbe Richtung. Wer plötzlich Arbeitnehmergarantien und Mitbestimmungsrechte des Parlaments nicht mehr festschreiben mag, setzt sich dem Verdacht aus, einen harten Brexit durchsetzen zu wollen. Das entspricht nicht dem Wählervotum, weder beim Referendum 2016 noch vergangene Woche. Treffend hat Johnson davon gesprochen, er verdanke seinen Sieg vielen Wählern, die den Konservativen ihre Stimme „nur geliehen“haben. Deshalb sollte er den englischen Nationalisten nicht nachgeben, die vom Singapur an der Themse träumen.
Die heikle Lage in Nordirland, die Bedürfnisse der eng verzahnten Wirtschaft, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Forschern und Ingenieuren – alles spricht für eine weiterhin enge Verbindung Großbritanniens mit der EU, dem größten Binnenmarkt der Welt.