Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bye bye, Britain!

Das Unterhaus ebnet dem Brexit Ende Januar den Weg

- G Von Sebastian Borger

LONDON - Boris Johnson drückt aufs Tempo: In einer vom wiedergewä­hlten Premiermin­ister anberaumte­n Sondersitz­ung hat das Londoner Unterhaus am Freitag das EU-Austrittsg­esetz auf den Weg gebracht. Die Volksvertr­eter stimmten der Regierungs­vorlage mit 358:234 Stimmen zu. Damit ist der legislativ­e Grundstein dafür gelegt, dass Großbritan­nien die Europäisch­e Union im vierten Anlauf am 31. Januar verlässt. „Es ist nun Zeit, die Blockade zu überwinden und den Brexit zu vollenden“, sagte der Regierungs­chef.

Wie im Wahlkampf versproche­n, macht die im Amt bestätigte Regierung den Austritt zur absoluten Priorität der kommenden Wochen. Deshalb wurde das Gesetz bereits am Donnerstag, dem Tag der Regierungs­erklärung (Queen’s Speech), in erster Lesung ins Unterhaus eingebrach­t. Normalerwe­ise sind einige Sitzungsta­ge nach einer Queen’s Speech ausschließ­lich der Debatte über die Regierungs­vorhaben vorbehalte­n. Nach der zweiten Lesung am Freitag ging das Parlament in eine gut zweiwöchig­e Weihnachts­pause. Dem Programm der Regierung zufolge soll ihre Vorlage bereits in der ersten Sitzungswo­che im Januar alle parlamenta­rischen Stationen im Unterhaus passieren; nach der Analyse durch das Oberhaus könnte sie am 16. oder 23. Januar zum Gesetz werden.

Festgeschr­ieben wird damit nicht nur der Austrittst­ermin Ende Januar, sondern auch das Ende der Übergangsf­rist an Silvester 2020 – einer der Kritikpunk­te der Opposition, die wie viele Akteure in Brüssel die Verabredun­g eines Freihandel­sabkommens binnen elf Monaten für völlig unmöglich hält. Johnson wischte die Einwände beiseite: „Ich lehne jede weitere Verzögerun­g ab“, sagte der Regierungs­chef und verglich die dreieinhal­b Jahre nicht enden wollender Parlaments­debatten seit der Volksabsti­mmung im Juni 2016 mit dem Cartoon-Strip The Peanuts, in dem Lucy ihrem Bruder Charlie Brown immer wieder dessen Fußball entreißt.

Der Premiermin­ister verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, das zukünftige Verhältnis zwischen der Insel und dem Kontinent werde „wie bisher von Wärme und Zuneigung“geprägt sein: „Wir nennen unsere europäisch­en Nachbarn stolz unsere besten Freunde.“Die Briten forderte Johnson dazu auf, die Kontrovers­e über den EU-Austritt hinter sich zu lassen, ja sogar das Wort Brexit nicht weiter zu verwenden.

Den Wortmeldun­gen der Opposition nach zu schließen ist das Land von einer „Heilung“, die sich der Regierungs­chef wünscht, weit entfernt. Die schlechte Vorlage sei im neuen Anlauf „noch schlechter“geworden, sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn und empörte sich besonders über zwei Auslassung­en gegenüber jenem Gesetz, das im Oktober das Unterhaus in zweiter Lesung passiert hatte. Dabei geht es um Arbeitnehm­errechte sowie die humanitäre Aufnahme unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling­e, Letzteres ein Anliegen des Nazi-Flüchtling­s Alfred Dubs, 87, der für Labour im Oberhaus sitzt. „Der Premiermin­ister sollte sich schämen“, tadelte Corbyn sein Gegenüber.

Johnson beteuerte, beide Vorhaben seien auch weiterhin Regierungs­politik, hätten aber im Austrittsg­esetz selbst nichts zu suchen. Tatsächlic­h kündigte die Queen’s Speech mehr als 30 Vorhaben an. Dazu

zählen Brexit-Begleitges­etze zu Themen wie Einwanderu­ng und Handel, Fischerei und Landwirtsc­haft sowie Finanzdien­stleistung­en. Diese müssen im kommenden Jahr verabschie­det werden, um das Ende der Übergangsf­rist möglichst reibungslo­s zu gestalten.

Schotten wollen in der EU bleiben Für die schottisch­e Nationalpa­rtei SNP lehnte deren Fraktionsc­hef Ian Blackford das Gesetz und den EUAustritt erneut ab. Johnsons mit 43,6 Prozent gewählte Regierung habe im britischen Norden kein Mandat, schließlic­h hätten sich 45 Prozent der Schotten für seine Partei entschiede­n, argumentie­rte Blackford und forderte ein baldiges zweites Referendum: „Wir wollen ein unabhängig­es Schottland in der EU.“

Johnson musste sich auch Kritik von allen Vertretern Nordirland­s anhören. „Es gibt keinen guten Weg zum

Brexit“, sagte die Abgeordnet­e der nationalis­tischen SDLP, Claire Hanna aus Belfast. Die katholisch­e, nach Dublin orientiert­e Minderheit Nordirland­s war in der vergangene­n Legislatur­periode nicht im Unterhaus vertreten gewesen, weil die republikan­ische Partei Sinn Féin ihre sieben Sitze nicht einnimmt. Neu im Parlament ist auch ein Vertreter der überkonfes­sionellen Allianzpar­tei, die wie die meisten Gruppierun­gen in der britischen Provinz den EU-Austritt ablehnt.

Hingegen bekannte sich der Fraktionsc­hef der protestant­ischen Unionisten­partei DUP, Jeffrey Donaldson, ausdrückli­ch zum Brexit, zweifelte aber das Austrittsg­esetz an. Um die Landgrenze zwischen dem britischen Norden und der Republik im Süden weiterhin offen zu halten, sieht der Austrittsv­ertrag Zoll- und Lebensmitt­elüberprüf­ungen zwischen Nordirland und Großbritan­nien vor. Dies stößt den Unionisten sauer auf.

 ?? FOTO: JESSICA TAYLOR/AFP/UK PARLIAMENT ?? Er ist am Ziel: Das britische Unterhaus stimmte für das Austrittsp­aket von Premiermin­ister Boris Johnson (links).
FOTO: JESSICA TAYLOR/AFP/UK PARLIAMENT Er ist am Ziel: Das britische Unterhaus stimmte für das Austrittsp­aket von Premiermin­ister Boris Johnson (links).

Newspapers in German

Newspapers from Germany