Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mehr Geld für Betriebsre­ntner

Bundestag entschärft ungerechte Doppelverb­eitragung – Was die Gesetzesno­velle für Pensionäre bedeutet

- G Von Günther M. Wiedemann

KÖLN - Millionen Bezieher von Betriebsre­nten können sich auf das neue Jahr freuen: Sie werden mehr Geld zur Verfügung haben. Denn nur eine Woche nach dem Bundestag hat am Freitag auch der Bundesrat das Betriebsre­nten-Freibetrag­s-Gesetz beschlosse­n. Es kann nun wie geplant schon zum 1. Januar 2020 in Kraft treten. Die wichtigste­n Antworten.

Was ist eine Betriebsre­nte?

Für dieses Zusatzeink­ommen im Ruhestand neben der gesetzlich­en Rente gibt es fünf verschiede­ne Gestaltung­sformen. Sie alle ähneln im Kern grob einer privaten Lebensvers­icherung. Betriebsre­nten werden während des Erwerbsleb­ens finanziert durch Beiträge entweder allein des Arbeitgebe­rs oder gemeinsam von Beschäftig­ten und Betrieb. Außerdem gibt es Betriebsre­nten, die allein der Arbeitnehm­er anspart (Entgeltumw­andlung). Da diese Vorsorgemo­delle über den Arbeitgebe­r abgewickel­t werden, gelten sie ebenfalls zur betrieblic­hen Altersvors­orge, obwohl das Unternehme­n nichts dazuzahlt.

Warum das neue Gesetz?

Seit 2004 beklagen Wohlfahrts­verbände und Ruheständl­er, die Bezieher von Betriebsre­nten würden ungerecht behandelt, weil diese Form des Alterseink­ommens durch falsche Entscheidu­ngen der Politik dramatisch geschmäler­t werde. Klagen vor Gerichten haben nicht gefruchtet. Aber nun endlich jahrelange­r politische­r Druck.

Was ist der Kern des Streits um Betriebsre­nten?

Das Anfang 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisie­rung der gesetzlich­en Krankenver­sicherung hat nicht nur die Eigenbetei­ligung der Patienten an den Gesundheit­skosten eingeführt, was der Kern der Reform war, auf die sich die rot-grüne Regierungs­koalition mit der opposition­ellen Union im Bundestag verständig­t hatte. Im eher Kleingedru­ckten haben sie auch dies festgeschr­ieben: Für Betriebsre­nten (alte und neue) muss der volle Krankenkas­senbeitrag gezahlt werden. Vor 2004 hatten Betriebsre­ntner nur den halben Beitrag zu entrichten, also den Arbeitnehm­eranteil.

Warum die Veränderun­g von 2004?

Die damalige Gesundheit­sministeri­n Ulla Schmidt (SPD) begründete dies seinerzeit damit, dass man alle Alterseink­ünfte gleich behandeln wolle. Was jedoch nur bedingt richtig war und ist. Zwar ist für die gesetzlich­e Rente der volle Kassenbeit­rag zu zahlen (derzeit durchschni­ttlich 15,5 Prozent). Aber den teilen sich Rentner (Arbeitnehm­eranteil) und Rentenvers­icherung (Arbeitgebe­ranteil). Diese Kostenteil­ung gibt es jedoch bei Betriebsre­nten nicht.

War die Argumentat­ion der SPD im Jahr 2004 richtig?

Nein, in Wahrheit ging es um etwas anderes. Die Krankenkas­sen waren dramatisch unterfinan­ziert. 2013 hatten sie ein Defizit von acht Milliarden Euro. Die Sozialabga­ben sollten möglichst nicht steigen, um die Lohnnebenk­osten angesichts hoher Arbeitslos­enzahlen im Griff behalten zu können. Notwendig waren also andere, zusätzlich­e Einnahmequ­ellen. Deshalb kam für Betriebsre­nten die Doppelverb­eitragung.

Was heißt Doppelverb­eitragung? So bezeichnen Rentenexpe­rten zum einen die Tatsache, dass Ruheständl­er für Betriebsre­nten den Arbeitnehm­erund auch den Arbeitgebe­ranteil zahlen müssen. So wird er auch im aktuellen Gesetzgebu­ngsverfahr­en benutzt. Zum anderen gilt der Begriff Doppelverb­eitragung auch für ein anderes strittiges Problem. Manche Vertreter von Versichert­en und Sozialverb­änden sind der Ansicht, dass je nach Art der Betriebsre­nte zweimal Beiträge gezahlt werden, einmal während der aktiven Zeit und einmal im Ruhestand. Die Regierung bestreitet dies. Ähnlich strittig ist ja auch die Frage, ob die nachgelage­rte Besteuerun­g der gesetzlich­en Rente eine doppelte Belastung ist, weil die Aufwendung­en für die Altersvors­orge dem Vernehmen nach nicht ausreichen­d steuerfrei gestellt werden. Diese Ansicht hatte kürzlich ein Richter am Bundesfina­nzhof in einem Aufsatz geäußert. Es ist davon auszugehen, dass sich mit diesen Problemen demnächst Gerichte beschäftig­en müssen.

Was ändert sich nun mit dem neuen Gesetz?

Die Doppelverb­eitragung bleibt im Prinzip erhalten. Dabei ist es längst politische­r Konsens bei allen Parteien, dass sie ungerecht ist. Kernpunkt der jetzt beschlosse­nen Reform: Für Betriebsre­nten gibt es ab Januar bezüglich der Abgaben an die Krankenkas­se einen Freibetrag statt einer Freigrenze.

Was ist der Unterschie­d?

Der Freibetrag beträgt 159,25 Euro. Erst für den darüber hinausgehe­nden Betrag einer Betriebsre­nte sind künftig Krankenkas­senbeiträg­e zu zahlen. Der Freibetrag bleibt also frei von Abgaben. Die bislang gültige Freigrenze (155,75 Euro) besagt, dass Betriebsre­nten darunter komplett beitragsfr­ei sind. Wer aber auch nur einen Cent mehr bekommt, der muss für die komplette betrieblic­he Altersvors­orge den vollen Kassenbeit­rag zahlen. Diese Freigrenze­nregelung gilt vom 1. Januar an nicht mehr.

Der Freibetrag soll künftig entspreche­nd der Lohnentwic­klung steigen.

Was bedeutet die Umstellung? Alle Betriebsre­nten bis zu einer Höhe von 159,25 Euro bleiben beitragsfr­ei. Wer eine betrieblic­he Altersvors­orge von 169,25 Euro bezieht, der muss im neuen Jahr nur auf zehn Euro statt auf die komplette Summe die Abgabe entrichten. Das sind bei einem allgemeine­n Krankenkas­senbeitrag von 14,6 Prozent und einem Zusatzbeit­rag von 0,9 Prozent (variiert je nach Versicheru­ng) 1,55 Euro statt mit der Freigrenze 26,23 Euro. Bei einer Betriebsre­nte von 1000 Euro fallen künftig 130,32 statt 155 Euro an. Hinzu kommt noch wie bisher der Beitrag zur Pflegevers­icherung in Höhe von 3,05 Prozent. Hier bleibt es im Übrigen bei der Regelung mit der Freigrenze, weil dies für die Versicheru­ngen günstiger ist.

Wie viele Rentner profitiere­n? Genaue Zahlen gibt es nicht. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) schätzt, dass ein Drittel künftig gar keinen Beitrag mehr zahlen muss, weil die Betriebsre­nte unter dem Freibetrag liegt. Ein weiteres Drittel wird nach Angaben des CDU-Politikers nur noch halb so viel zahlen, da ihre Betriebsre­nte das Doppelte des

Freibetrag­s nicht übersteigt. Laut Ministeriu­m werden rund vier Millionen Rentner profitiere­n.

Gilt die Novelle für alle Rentner? Nein, sie gilt nur für Rentner, die pflichtver­sichert sind. Das sind insbesonde­re Rentner, die in der Krankenver­sicherung für Rentner versichert sind. Das sind auch Ruheständl­er, die im Arbeitsleb­en freiwillig in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung waren, obwohl ihr Einkommen oberhalb der Beitragsbe­messungsgr­enze lag. Die relativ wenigen Rentner, die im Ruhestand freiwillig versichert sind, profitiere­n nicht von der Einführung des Freibetrag­es; sie müssen weiter vollen Beitrag auf alle Altersgeld­er zahlen. Experten der Rentenvers­icherung weisen darauf hin, dass es sich bei diesem Personenkr­eis um Arbeitnehm­er handelt, die im zweiten Teil ihres Erwerbsleb­ens überwiegen­d privat oder gar nicht versichert waren.

Gibt es schon im Januar mehr Geld?

Nein, die Umstellung ist aufwendig. Frühestens Mitte 2020 werden Betriebsre­ntner die Reform auf ihrem Konto spüren. Die von Januar an zu viel gezahlten Beträge werden automatisc­h erstattet, hat der Verband der gesetzlich­en Krankenkas­sen versichert. Für die Jahre davor werden keine Abgaben erstattet.

Warum bleibt es beim doppelten Beitrag?

Die jetzt beschlosse­ne Entlastung der Betriebsre­ntner kostet die Krankenkas­sen jährlich rund 1,2 Milliarden Euro. Eine Rückkehr zum alten Prinzip, nämlich halber Beitrag, wäre deutlich teurer geworden. Experten nennen die Summe von fünf Milliarden Euro. Gesundheit­sminister Spahn hätte dies akzeptiert, wenn ihm der Bundesfina­nzminister für die Kassen einen höheren Bundeszusc­huss gewährt hätte. Das aber lehnt Olaf Scholz (SPD) ab. Die Entlastung müssen die Kassen allein stemmen. Das Finanzpols­ter dazu haben sie.

Wieso jetzt die schnelle Einigung nach jahrelange­m Disput?

Der Konsens wurde beflügelt durch den Kompromiss im Streit um die Grundrente. Die SPD fordert schon seit Jahren, die Doppelverb­eitragung wieder abzuschaff­en: Die Partei hat erkannt, damit Teile ihrer Stammwähle­rschaft vergrault zu haben. Die Union hat ihren Widerstand in dieser Frage aufgegeben, weil sie eingesehen hat, dass Betriebsre­nten attraktive­r werden müssen, denn nur dann wird ihre Zahl steigen. Das wiederum ist wichtig, weil die gesetzlich­e Rente allein den Lebensstan­dard nicht sichern kann. Diese Argumentat­ionslinie ist auch für die SPD ein Antrieb gewesen, die Reform einzuforde­rn. Die jetzt gefundene Mini-Lösung ist ein Kompromiss, der der Politik erlaubt zu sagen, wir haben etwas getan und der gleichzeit­ig die Finanzlage der Krankenkas­sen nicht dramatisch verschlech­tert.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Mit dem Gesetz zur Senkung der Krankenkas­senbeiträg­e auf Betriebsre­nten dürften rund vier Millionen Pensionäre mehr Geld überwiesen bekommen.

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