Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Amerikas Kampf um Weihnachten
Liberale und Konservative diskutieren, wie politisch korrekt die Feiertage sein sollten – mit kuriosen Folgen
WASHINGTON - Auf das Fire Department von Glen Echo ist Verlass. Glen Echo liegt am Rande von Washington, und jedes Jahr Mitte Dezember liegt die Weihnachtspostkarte der dortigen Feuerwehr im Briefkasten. Sie zeigt eine Feuerwache mit backsteinroter Fassade und schneebedecktem Dach, an dessen Regenrinne fotogene Eiszapfen hängen. Zwar entspricht das nicht ganz der lokalen Realität, denn im Dezember liegt in und um Washington nur höchst selten Schnee, doch postkartentechnisch macht es sich gut. Verbunden ist das Ganze mit der Bitte, die freiwillige Feuerwehr von Glen Echo beim Spenden nicht zu vergessen: „Ihre Dollars ermöglichen es uns, für Sie da zu sein.“Dazu eine Zeile, die man besser im Original wiedergibt: „Wishing you a happy and safe holiday season.“In der Kurzfassung: „Happy Holidays!“
Damit kann sich jeder angesprochen fühlen, weshalb sich auch Amerikas Kaufhäuser an dem Gruß orientieren. Da man den Menschen ihren Glauben nun mal nicht ansieht, wird den Verkäufern eingeschärft, ihren Kunden einfach nur „Happy Holidays“hinterherzurufen – schöne Feiertage. Das kann nie falsch sein. Egal ob die Kundschaft nun im Adventsfieber steckt, ob sie Chanukka feiert, das jüdische Lichterfest, oder Kwanzaa, eine 1966 begründete afroamerikanische Feier, bei der ebenfalls Kerzen angezündet werden, es passt eigentlich immer. Nur das christlich-konservative Amerika ist damit nicht einverstanden, weshalb es sich über das Diktat des politisch Korrekten beklagt, über die Allerweltszeile „Happy Holidays“, auf dass man nirgends anecke mit einem „Merry Christmas“.
Weihnachten ist die Zeit, in der die USA wahre Lichterkettenorgien feiern. Es ist aber auch die Zeit bizarrer Wortschlachten, denn jedes Jahr aufs Neue bricht ein Krieg aus. „The War on Christmas.“An dessen vorderster Front marschierte lange Zeit der konservative Fernsehmoderator Bill O’Reilly, der dafür sorgte, dass seine These, wonach sich Weihnachten im Belagerungszustand befinde, wie ein Schlachtruf durch die Reihen seiner Fans tönte. Immer zur Weihnachtszeit durfte O’Reilly, abends zwischen acht und neun, auf dem konservativen Nachrichtensender Fox News gegen den „Happy-Holidays-Unfug“wettern, bevor er seinen Studiosessel wegen eines Sexskandals räumen musste.
Einmal erklärte O‘Reilly, die Liberalen wollten aus Weihnachten ein säkulares Fest machen, denn sie strebten ein neues Amerika an, in dem für Weihnachten, wie man es kenne, kein Platz mehr sei. Fünf Monate vor seinem Rausschmiss verkündete er feierlich, dass der Weihnachtskrieg nunmehr entschieden sei: „Gewonnen haben die Guten.“Denn jetzt habe sich Donald Trump der Sache angenommen.
Das war im Dezember 2016, einen Monat nach dem Wahlsieg des Immobilientycoons. Der ließ eine Bühne in Wisconsin mit einer langen Reihe bunt geschmückter Weihnachtsbäume dekorieren und feierte einen Triumph. Nicht nur den an den Wahlurnen, sondern auch den im Weihnachtsgefecht. 18 Monate zuvor hatte der Kandidat Trump auf seiner allerersten Kundgebung in Wisconsin versprochen, „dass wir eines Tages zurückkommen und endlich wieder Merry Christmas sagen“. Mittlerweile fliegt der Präsident in jedem Dezember mindestens einmal in die
Provinz, meist in den Rust Belt, um eine Merry-Christmas-Kundgebung zu zelebrieren.
Weihnachten in Amerika, es kann eine sehr ernste, sehr kontroverse Angelegenheit sein. Da gibt es die America Family Association, angesiedelt in Tupelo in Mississippi, die sich als Aufpasserin versteht. Sie wacht darüber, welche Geschäftskette, so wörtlich, frech und welche brav ist. Welche Weihnachten in ihrer Werbung angemessen würdigt und welche das Christliche zu kurz kommen lässt. Starbucks handelt sich dort regelmäßig eine Rüge ein, weil die vorweihnachtlichen Becher der Kaffeehausmarke nach dem Geschmack der evangelikalen Wächter viel zu beliebig sind. Auch die Happy-Holidays-Gemeinde schießt bisweilen übers Ziel hinaus. Jennifer Sinclair, Direktorin der Manchester Elementary School in Elkhorn, Nebraska, hat vor zwölf Monaten in ihrer Schule alles verboten, was an Weihnachten erinnert. Darunter fielen Santa Claus, Rentiere, Elfen, Weihnachtsbäume, Weihnachtsmelodien, Weihnachtsfilme, alles in den Farben Rot und Grün („traditionelle Weihnachtsfarben“) – und rot-weiße Zuckerstangen. Deren gebogene Form lasse an das „J“in Jesus denken, schrieb Sinclair in einem Rundbrief. Grünes Licht gab sie für Eisbären, Pinguine, Yetis, Schlitten, heißen Kakao und Olaf, den sprechenden Schneemann aus dem Zeichentrickfilm „Frozen“. Nach einer Lawine von Elternprotesten wurde sowohl die Liste kassiert als auch die Schulleiterin versetzt.
Dann wäre da noch die Bürgerrechtsliga ACLU, ein Leuchtturm des liberalen Amerika, streng dem Credo der Republik verpflichtet, der Trennung von Staat und Religion. Einst verteidigte sie die Rechte eines Häftlings, der hinter Gittern ein weihnachtliches Gemeinschaftsgebet organisieren wollte. Solange der Staat nicht selbst eine bestimmte Glaubensrichtung fördere, argumentierten die ACLU-Anwälte, dürfe einem solchen Gebet nichts im Wege stehen.
Manchmal sind sie eben doch lockerer, als man annehmen könnte, die Fronten im Weihnachtskrieg. Zumal die meisten Amerikaner in dem Krieg nur eine Serie von Scheingefechten sehen. Nach einer Umfrage des Pew-Instituts favorisieren 32 Prozent die Formel „Merry Christmas“, während 15 Prozent das unverfängliche „Happy Holidays“bevorzugen. Eine Mehrheit, 52 Prozent, kann mit jeder Variante leben. Ähnlich pragmatisch hält man es übrigens bei der freiwilligen Feuerwehr von Glen Echo. Auf der Rückseite der Weihnachtskarte steht, als kleines Zugeständnis an die Merry-Christmas-Fraktion: „Santa Claus is coming!“