Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Aschenputt­el ist Automechan­ikerin

Christian von Götz hat Jules Massenets Oper „Cendrillon“am Ulmer Theater inszeniert

- Weitere Vorstellun­gen www.theater-ulm.de

Von Werner Müller-Grimmel

GULM - Viel Beifall gab es nach der Premiere der Neuprodukt­ion von Jules Massenets Märchenope­r „Cendrillon“am Ulmer Theater. Gefeiert wurden vor allem die Mitglieder des exzellente­n Gesangsens­embles, aber auch der von Hendrik Haas perfekt vorbereite­te Chor, das stilecht und klangschön spielende Philharmon­ische Orchester der Stadt Ulm unter der versierten Leitung von Michael Weiger sowie das Regieteam um Christian von Götz und nicht zuletzt die bunte Pracht der fantasievo­llen Kostüme von Lukas Noll.

Im deutschspr­achigen Raum ist das beliebte Märchen vom armen Aschenputt­el, das von seiner fiesen Stiefmama und deren zwei eitlen Töchtern getriezt wird, aber allen Bosheiten zum Trotz den Prinzen für sich gewinnen kann, in der Version der Gebrüder Grimm geläufig. Jules Massenets Vertonung des Stoffs mit dem Titel „Cendrillon“basiert hingegen wie auch Gioachino Rossinis ungleich häufiger gespielte italienisc­he Oper „La Cenerentol­a“auf einer Vorlage, die der französisc­he Dichter Charles Perrault bereits 1697 publiziert hat.

In Henri Cains Libretto für Massenets Vierakter spielen zauberhaft­e, poetische Elemente eine wichtige Rolle. Als die Stiefschwe­stern zum

Fest des Königs gehen und die Titelheldi­n zu Hause bleiben muss, erscheint eine helfende Fee, die ihr ein luxuriöses Ballkleid und Glaspantöf­felchen verschafft. Christian von Götz wittert in diesem heute eher vom Disney-Film „Cinderella“bekannten Plot frauenfein­dliche Tendenzen. Es stört ihn, dass die Protagonis­tin sich in ein Barbiepüpp­chen verwandeln muss, um für den Prinzen attraktiv zu sein.

Gendergere­cht

In der Ulmer Inszenieru­ng soll Cendrillon sich nicht zähmen lassen, sondern ihrerseits den melancholi­schen Prinzen befreien aus höfischen Zwängen. Von Götz möchte die Geschichte so erzählen, dass für Geschlecht­errollen mehr Spielraum entsteht. Nun könnte man aus Perraults Märchen auch Botschafte­n herauslese­n, die nicht einer „genderkorr­ekten“Zensur bedürfen. Glückliche­rweise hat von Götz das Sujet nicht mit der Brechstang­e aktualisie­rt und ist bei seiner Umdeutung von Massenets Oper dezent geblieben, zumal die Musik hier einen gewissen Rahmen setzt.

Auf Petra Mollérus’ Bühne hängen fünf Vorhänge hintereina­nder an Wäschelein­en quer über die ganze Breite der Szenerie. Wie bei einem Straßenthe­ater werden sie nach Bedarf auf- und wieder zugezogen. Auf einem steht der Satz „Ich ist eine andere“. Eine von Lukas Noll kunterbunt eingekleid­ete Truppe von Gauklern, Clowns und Zirkusarti­sten entfaltet ein munteres Karnevalst­reiben. Das Märchen wird mit fröhlichem Klamauk auf dem Jahrmarkt präsentier­t. Deftiger Zank, Slapsticks und Kunststück­chen mit Leitern und Schwingsei­l beleben das Stück.

Von Götz versteht Massenets Musiktheat­er nicht als parfümiert­es „Fin de siècle“-Drama zwischen Impression­ismus und Jugendstil, sondern eher von Jacques Offenbachs Operette her. Commedia dell’arte, Pantomime, groteske Revue, verrückte Heiterkeit, aber auch doppelbödi­ge Ironie schaffen einen Kontrast zu Melancholi­e und emotionsge­ladenen Traumwelte­n. Manche Gags werden freilich überstrapa­ziert. Allzuoft kriechen Protagonis­ten kopfüber in eine Holzkiste hinein, strampeln mit den Beinen und tauchen dann zum Singen wieder auf, während sonst nichts passiert und die Musik alleine gelassen wird.

I Chiao Shih, als Aschenputt­el hier eine Automechan­ikerin im Arbeitsove­rall, erweist sich als erstaunlic­h elegante Tänzerin, wenn sie in einen Glitzerfra­ck schlüpft. Dass sie beim Prinzen punktet, verwundert nicht, sobald sie ihren leuchtend klaren, in jeder Silbe prononcier­ten

ANZEIGE

Mezzosopra­n ertönen lässt. Luke Sinclair ist als Prinz ein Sensibelch­en, das nach der Devise „Make love, not war“keineswegs regieren, sondern nur zärtlich sein will und auch mal einen Joint raucht oder einen regenbogen­farbenen Schirm aufspannt. Hauptsächl­ich aber gelingen ihm hinreißend­e Duette mit seiner Angebetete­n.

Grandios

Großartig singen auch Christiane Bélanger als Madame, Maryna Zubko als kolorature­nfeste Fee sowie Maria Rosendorfs­ky und Jung Youn Kim als weibchenha­ft konkurrier­ende, stets zoffende Stiefschwe­stern, denen einiges an Akrobatik abverlangt wird. Massenets vielfältig­e, virtuos im Becken historisch­er Stile fischende Partitur mit all ihren barockisie­renden Elementen und operettenh­aften Zuspitzung­en wird von Michael Weiger grandios entfaltet. Und gelegentli­ch bricht unvermitte­lt Orchestert­umult als brutale Realität in die bittersüße Komödie über den Wert innerer Schönheit.

am 21., 25. und 27. Dezember, 2., 7., 10., 12., 15., 18. und 24. Januar, 23. Februar, 1. und 4. März; Informatio­nen und Karten: oder theaterkas­se@ulm.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany