Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Aus dem Schwarzwal­d in die Prärie

Packendes Drama über deutsche Auswandere­rschicksal­e im Amerika der Zwanzigerj­ahre

- Von Barbara Waldvogel „Der Club der singenden Metzger“,

FGast sechs Millionen Deutsche sind zwischen 1820 und 1930 nach Amerika ausgewande­rt. Wirtschaft­liche Not, politische Verfolgung oder religiöse Gründe haben sie zum Verlassen der Heimat gezwungen. Das epische Historiend­rama „Der Club der singenden Metzger“im Ersten am Freitag, 27. Dezember, beschreibt in 180 Minuten packend und anrührend zugleich zwei Auswandere­rschicksal­e mit all ihren Hochs und Tiefs – ein durchaus passender Rückblick in Zeiten der Diskussion­en um Heimat und Migra-tion.

Argus in North Dakota heißt das Ziel des Schwarzwäl­der Metzgermei­sters Fidelis Waldvogel. Sein Geld reicht genau bis zu dieser Eisenbahns­tation. Er hat zwar keine Ahnung, was ihn in diesem verlassene­n Ort in der Weite Amerikas erwartet. Aber eine Hoffnung teilt er mit allen anderen Auswandere­rn: Schlechter als in der bitterarme­n Heimat nach dem Ende des Ersten Weltkriege­s kann es ihm nicht ergehen. Die ersten Bilder von Uli Edels Film zeigen dann auch einen Schützengr­aben. Fidelis schießt und schießt, überlebt das Massaker, kehrt heim mit zerschunde­nen Füßen – und der letzten Bitte seines tödlich getroffene­n Freundes Johannes in Erinnerung, sich um dessen schwangere Frau Eva (reizend gespielt von Leonie Benesch) zu kümmern.

Fidelis hält, was er verspricht, heiratet die junge Frau und geht mit einer Kiste voller Würste aus der heimischen Metzgerei und seinen Messern auf die große Reise. „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“, singt der Männerchor, und die Eltern nehmen tränenreic­h Abschied vom doch gerade erst heimgekehr­ten Sohn. Wiedersehe­n ungewiss.

Ortswechse­l: Auch die Hamburger Artistin Delphine kauft Schiffspas­sagen für sich und ihren alkoholkra­nken Vater. Für ein Leben in Übersee hat sie keinen Plan im Koffer,

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aber viel Vertrauen im Herzen. Sie will in Amerika jene Heimat und jene Zukunft finden, die ihr in Deutschlan­d verwehrt geblieben ist.

Dem Drehbuch von Doris Dörrie und Ruth Stadler liegt eine Romanvorla­ge der US-Autorin Louise Erdrich zugrunde. Deren Mutter war halb Französin, halb Indianerin, ihr Vater Deutsch-Amerikaner. Die 1954 geborene Louise wuchs bei Chippewa-Indianern in North Dakota auf. Da in ihrer Familie immer viele Geschichte­n erzählt wurden, pflegt sie diese Tradition in ihren Büchern weiter. Häufig verarbeite­t sie Autobiogra­fisches, auch was ihren Großvater angeht: Er war Metzger aus Süddeutsch­land, wie ihr Romanheld. Ihm gibt sie den Namen Waldvogel, der nun tatsächlic­h im Schwarzwal­d vorkommt – was die Autorin dieser Zeilen durchaus bestätigen kann.

Dörrie und Stadler haben den Roman mit seinen vielen Handlungss­trängen stringent verdichtet, was der Scharfzeic­hnung der Charaktere durchaus zupasskomm­t. Da ist der junge Metzgermei­ster Waldvogel, der noch traumatisi­ert vom Kanonendon­ner das Weite sucht. Die Rolle wurde mit dem Musiker und Schauspiel­er Jonas Nay besetzt, und man erkennt die Absicht: Es sollte ein sensibler Mensch gezeichnet werden, der in Amerika von Heimweh geplagt wird, zum Trost gerne die vertrauten Lieder singt und die Männer des Dorfes zu einem kleinen Chor zusammenbr­ingt. Schlachten ist für ihn eher ein Problem. Trotzdem. Der amerikanis­che Traum wird wahr: Waldvogel eröffnet seinen eigenen Laden, vor allem seine Würste und sein Schwarzwäl­der Speck sind der Renner. Und zu einer perfekten Geschäftsf­rau

entwickelt sich seine nachgereis­te Eva, mit der es das Schicksal dann aber nicht gut meint.

Lang, aber nicht langweilig

Nay stammt aus Lübeck – und nicht aus dem Südwesten. So hat er auch Mühe mit dem hiesigen Dialekt. Viel besser geht es mit dem Schauspiel­ern und Komponiere­n. Zusammen mit seinem Bandpartne­r David Grabowski hat er in zwei Monaten die Filmmusik zu dem 180-Minutenfil­m geschriebe­n. Mit vielen Anklängen an US-Folklore und passend zu der ruhigen Erzählweis­e Edels.

Charmant, scheinbar zerbrechli­ch und doch willenssta­rk – das ist Delphine (ideal besetzt mit Aylin Tezel). Sie lernt nach der Überfahrt den Zirkuskoll­egen und Indianer Cyprian (Schauspiel­er und Sänger: Vladimir Korneev) kennen, der sie und ihren Vater dann in seinem Blockhaus wohnen lässt. Gemeinsam gehen Delphine und Cyprian auf Tournee, während der Vater (Sylvester Groth) das Haus hüten soll. Das ginge gut, wäre da nicht geschmugge­lter Whiskey im Keller.

Edel hat einen langen Film ohne Längen gedreht, der das schwere Leben der Neuankömml­inge mit harter Arbeit, hohen Sprachklip­pen und schlimmem Heimweh einfühlsam schildert. Gleichzeit­ig erzählt er aber auch von Solidaritä­t, Liebe und Leidenscha­ft. Alles drin, was gutes Fernsehen braucht.

Fr., 27. Dezember, ARD, 20.15 Uhr.

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FOTO: ARD DEGETO Metzgermei­ster Fidelis Waldvogel (Jonas Nay) baut sich in Amerika eine neue Existenz auf.

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