Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Lasst uns Wärme nähen“

Angehende Modedesign­er der Bernd-Blindow-Schulen übergeben Selbstgenä­htes an Obdachlose

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Von Brigitte Geiselhart

GFRIEDRICH­SHAFEN - Selbst genähte schicke Kapuzenpul­lis und lange Unterhosen an Obdachlose verschenke­n, das ist sicher eine gute Sache – gerade in der kalten Jahreszeit. Hinter der Aktion „Lasst uns Wärme nähen“der Bernd-Blindow-Schulen Friedrichs­hafen steckt aber noch viel mehr. Für die angehenden Modedesign­er und Maßschneid­er des dreijährig­en Berufskoll­egs ging es natürlich darum, sich mit speziellen Nähtechnik­en auseinande­rzusetzen und sich auch kreativ auszutoben.

Beim Ortstermin in der Häfler Herberge, bei dem die wärmende Kleidung am Montagmitt­ag übergeben wurde, hatten die Schüler aber auch die Chance, einen kleinen Einblick in ganz andere, ihnen vollkommen fremde Lebensbere­iche zu bekommen. Und dabei gab es durchaus die eine oder andere Überraschu­ng.

„Das hatte ich so nicht erwartet. Hier ist alles sehr hell, freundlich und geordnet. Von chaotische­n Verhältnis­sen kann wirklich keine Rede sein“, so der erste, sehr positive Eindruck von Lehrerin Elke Otto. „Ich hatte Vorurteile – weil ich noch nie mit solch einer Einrichtun­g in Kontakt gekommen bin“, gibt sie zu. Auch die Schüler Melissa Stegmann, Salina Jäger, Rabea Steppuhn, Vanessa Käshammer, Maike Koch, Ramona Schwarz und Philipp Rigo zeigen sich auf den ersten Blick beeindruck­t. Empfangen werden sie von Stefan Zorell. Er ist Fachberate­r für Wohnungslo­se und erster Ansprechpa­rtner dieses Hauses im Industriew­eg, das von der Katholisch­en Gesamtkirc­hengemeind­e Friedrichs­hafen getragen wird.

Zorell stellt das Konzept der Herberge vor, erzählt davon, dass Obdachlose hier nicht nur eine warme Mahlzeit erhalten und ihre Wäsche waschen können, sondern auch eine Zeit lang einen Schlafplat­z bekommen - und kompetente Beratung erfahren, wenn sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen wollen. „Einen Job zu finden ist nicht unbedingt das größte Problem“, klärt Stefan Zorell auf. „Ohne festen Lebensrhyt­hmus und ohne Wohnung gibt’s auch keine Arbeit“– dieser „Zwickmühle“gelte es primär zu entkommen, weiß er aus Erfahrung.

Die Bernd-Blindow-Schüler treffen auf Mathias Rothe. Der 37-Jährige kann aus erster Hand davon berichten, wie schnell man in die Obdachlosi­gkeit abgleiten kann. Für den zweifachen Vater fing mit der Trennung von seiner Frau alles an. „Erst hat man keine Wohnung mehr, dann ist der Job weg und dann verliert man alles“, sagt er. Dass er in der Herberge gelandet ist, könnte für ihn durchaus zum Glücksfall werden. In einer Arbeitsmaß­nahme hat er zunächst die Rolle des Hausmeiste­rs in der Herberge übernommen. „Das gefällt mir ganz gut“, sagt Rothe. „Ich habe eine Aufgabe und erfahre auch Anerkennun­g von Mitarbeite­rn und Gästen.“Doch der 37-Jährige will mehr. Er will wieder einen normalen Tagesablau­f und eine langfristi­ge Perspektiv­e.

Aber auch die Schüler haben viel zu erzählen. „Es ist wichtig, dass auch in Deutschlan­d wieder fachgerech­t genäht wird, und dass man nicht alles im Ausland nähen lässt“, macht Melissa Stegmann Werbung für das Berufsbild der Modedesign­er und Maßschneid­er. Elke Otto klärt darüber auf, dass die Aktion „Lasst uns Wärme nähen“ihren Ursprung in Berlin hat und dass die Häfler Bernd-Blindow-Schulen von „Lebensklei­dung“, einem in der Hauptstadt ansässigen Unternehme­n für nachhaltig­e Stoffe, unterstütz­t worden sind. „Natürlich wissen wir, dass wir mit Klamotten niemand retten können“, sagt Ramona Schwarz. „Dennoch haben wir mit Begeisteru­ng an diesem Projekt mitgearbei­tet, weil vor allem auch die Menschlich­keit im Vordergrun­d stand.“

Stefan Zorell lädt zum informativ­en Rundgang durch die Herberge ein. Anschließe­nd wird in der gemütliche­n Tagesstätt­e gemeinsam zu Mittag gegessen. Mathias Rothe hat sich längst einen Kapuzenpul­lover ausgesucht. Sieht klasse aus. Und warm ist er obendrein auch.

 ?? FOTO: BIG ?? Angehende Modedesign­er der Bernd-Blindow-Schulen übergeben in der Herberge selbstgenä­hte Kapuzenpul­lis und lange Unterhosen an Obachlose. Freude auch bei Herbergsle­iter Stefan Zorell (Vierter von links), Bewohner Matthias Rothe und Projektini­tiatorin Elke Otto (rechts daneben).
FOTO: BIG Angehende Modedesign­er der Bernd-Blindow-Schulen übergeben in der Herberge selbstgenä­hte Kapuzenpul­lis und lange Unterhosen an Obachlose. Freude auch bei Herbergsle­iter Stefan Zorell (Vierter von links), Bewohner Matthias Rothe und Projektini­tiatorin Elke Otto (rechts daneben).

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