Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Im Namen der Seerose
Wie drei Häfler Radfahrerinnen den Weltcup aufmischen und trotz Konkurrenz ihre Freundschaft nicht vergessen
Von Martin Deck
GFRIEDRICHSHAFEN - Liane Lippert und Laura Süßemilch freuen sich auf Weihnachten. Nicht nur wegen der Bescherung an Heiligabend, sondern vor allem wegen ihres Wiedersehens. Traditionell treffen sich die beiden Profiradfahrerinnen aus Friedrichshafen und Biberach am Vormittag des 24. Dezembers, um gemeinsam eine lockere Runde mit dem Rad zu drehen und anschließend bei einer Tasse Tee zu quatschen. „Das machen wir seit Jahren so – selbst bei Minusgraden“, erzählt Liane Lippert. Diesen Termin lassen sich die beiden Freundinnen nicht nehmen, er ist ihr fester Treffpunkt. Denn allzu häufig sehen sich die 21- und 22-Jährige unter dem Jahr nicht mehr.
Seit sich die beiden in der Jugendauswahl des Landesverbands BadenWürttemberg kennengelernt und Freundschaft geschlossen haben, haben sich ihre Wege immer weiter auseinanderbewegt. Während sich Liane Lippert als Kletterin auf anspruchsvolle Straßenrennen und Rundfahrten spezialisiert hat, ist Laura Süßemilch auf den Holzbahnen dieser Welt unterwegs – zuletzt in Hongkong. Auch Liane Lippert war erst wieder in Mallorca, um sich in wärmeren Gefilden auf die kommende Saison vorzubereiten. Die beiden haben sich also viel zu erzählen, wenn sie sich an Weihnachten treffen.
Auch um sich wieder häufiger zu sehen, hat sich Laura Süßemilch kürzlich dem Radsportverein Seerose Friedrichshafen angeschlossen. Ihrem Heimatverein RSC Biberach hält sie aber weiterhin die Treue. „Ich habe das vor allem aus Freundschaft zu Liane gemacht“, erzählt die 22-Jährige. Mit Süßemilch hat der RSV Seerose nun auch eine Top-Bahnradfahrerin unter den Mitgliedern. Auch bei den Mountainbikern mit den Nationalfahrern David List und Hugo Zeller (Frankreich) und bei den Inklusionsfahrern mit Bianca Metz hat der Häfler Verein Topathleten im Kader. „Ich glaube, dass es in Deutschland nicht so viele Vereine gibt, die in dieser Breite so gut aufgestellt sind“, sagt
Kurt Lippert, Vater von Liane und Jugendtrainer im Verein.
Besonders prominent sind die Häfler aber nun bei den Straßenradfahrerinnen besetzt. Denn neben Lippert (Team Sunweb) und Süßemilch, die nicht nur auf der Bahn, sondern auch auf der Straße aktiv ist und sich kürzlich dem belgischen Profiteam „Multum Accountants“angeschlossen hat, hat der RSV Seerose eine weitere Weltklasseathletin in seinen Reihen: Clara Koppenburg (Bigla-Katusha). Die 24-Jährige stammt ursprünglich aus Lörrach, hat sich aber während ihres Sportstudiums an der Universität Konstanz 2014 dem RSV angeschlossen. Obwohl die drei für unterschiedliche Teams im Weltcup unterwegs sind, schweißt die gemeinsame Vereinszugehörigkeit und die Freundschaft zusammen. „Wir sind nie Konkurrentinnen und versuchen immer, uns gegenseitig zu helfen“, sagt Liane Lippert. Und auch Clara Koppenburg meint: „Es ist immer besser, mehr Freunde im Feld zu haben als Feinde. Es geht zwar nicht so weit, dass wir uns gegenseitig die Teamtaktik verraten, aber ein Powerriegel wird da schon mal ausgetauscht.“
Großes Ziel Olympia
Gemeinsam möchten die drei mehr Mädchen für den Radsport begeistern und engagieren sich deshalb auch in der Jugendarbeit des RSV. „Ich bin mit dem Stahlrad losgefahren, heute geht da kaum noch etwas ohne Topausrüstung mit Wattmessung“, sagt Liane Lippert. „Das Wichtigste ist aber, dass die Kinder Spaß am Radfahren haben.“
Eben diesen Spaß haben sich auch die drei Profifahrerinnen bewahrt – obwohl es nicht immer leicht fällt, sechsmal pro Woche aufs Rad zu steigen. „Aber das ist unser Beruf. Andere müssen auch jeden Tag aufstehen und arbeiten gehen“, sagt Liane Lippert. Doch das große Geld machen alle drei mit dem Radsport nicht. Lippert und Koppenburg können zwar gut davon leben, doch nach wie vor fließen bei den Frauen im Vergleich zu den Männern deutlich kleinere Preisgelder. Zudem herrscht ein Mangel an Sponsoren.
Noch schlechter sieht es auf der Bahn aus. Für die Bronzemedaille mit dem Team bei der U23-Europameisterschaft im Juli hat Laura Süßemilch gerade einmal 50 Euro kassiert: „Das hat nicht mal für eine Nacht im Hotel gereicht.“Um sich auf den Sport konzentrieren zu können, ist die 22-Jährige bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr angestellt. Drei Mal im Jahr muss sie sich an ihrem Stützpunkt in Todtnau im Schwarzwald sehen lassen. Um ein Standbein für die Zeit nach der Sportkarriere zu haben, arbeitet sie derzeit an ihrem Fernabitur und möchte anschließend Wirtschaftspsychologie studieren.
Doch ans Aufhören denken die drei Radfahrerinnen noch lange nicht. Im Gegenteil: Sie haben große Ziele: „Wir haben immer davon geträumt, zu Olympia zu fahren – am liebsten zusammen“, sagt Liane Lippert, die sich wie Clara Koppenburg berechtigte Hoffnungen auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen im kommenden Sommer in Tokio machen darf. Laura Süßemilch hingegen rechnet nicht wirklich mit einer Nominierung. „In den Olympia-Jahren kommen viele der Top-Straßenfahrerinnen auf die Bahn. Da wird es für mich schwer.“Deshalb haben die Freundinnen schon jetzt die Spiele 2024 in Paris im Visier. „Das ist eine bedeutende Stadt für den Radsport. Da wollen wir auf jeden Fall dabei sein“, sagen Lippert und Süßemilch. Bei ihrem Weihnachtstreffen werden sie sicher auch über diesen Plan reden.