Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein Leitfaden für Unentschlo­ssene

Mehrere Jobangebot­e bringen Bewerber regelmäßig ins Grübeln

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IVon Anke Dankers

Gm Internet finden Unentschlo­ssene viele Tipps, um bessere Entscheidu­ngen zu treffen. Philip Meissner entlocken sie aber nicht mehr als ein Schmunzeln. Der Professor lehrt an der ESCP Europe in Berlin Strategisc­hes Management und Entscheidu­ngsfindung und ist der Meinung, dass vor jeder Entscheidu­ng zunächst die Betrachtun­g des Problems stehen sollte – auch dann, wenn Bewerber in der vermeintli­ch glückliche­n Lage sind, zwischen mehreren Angeboten wählen zu können.

„Ist man Berufseins­teiger und hat zwei Jobangebot­e oder will man den Beruf wechseln, dann hat man eigentlich drei Alternativ­en. Denn der Status quo ist auch eine Entscheidu­ng, die im Raum steht“, sagt Meissner. Oft sei ein Arbeitspla­tzwechsel nur vorgeschob­ener Aktionismu­s, der eher das Symptom – die eigene Unzufriede­nheit – bekämpfe, nicht aber die Ursache.

Eins ist klar: Eine 0815-Vorlage gibt es nicht. „Entscheidu­ngen und auch die Kriterien dafür sind immer individuel­l“, sagt Marc Schreiber, der am Institut für Berufs-, Studienund Laufbahnbe­ratung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften (ZHAW) tätig ist. „Die innere Zufriedenh­eit ist für mich immer das Wichtigste.“

Auch Philip Meissner weiß: So unterschie­dlich wie die Bewerber sind, so unterschie­dlich sind ihre Wünsche. „Man sollte sich die Frage stellen, welche persönlich­en Ziele man eigentlich hat.“Ist einem die Weiterentw­icklung wichtig, das Lernen, geht es um Geld oder Status?

Auch die Werte und die Kultur des Unternehme­ns könnten bei der Entscheidu­ngsfindung eine wichtige Rolle spielen. „Gerade, wenn man den ersten Job annimmt, ist wohl auch die Frage nach dem Chef ganz zentral. Er ist im weiteren Verlauf der Karriere derjenige, der darüber entscheide­t, wie erfolgreic­h man sein kann und wie viel man dazulernen kann.“

Erst am Schluss steht nach Ansicht von Meissner die Frage nach der Tätigkeit: „Am Ende wird man wahrschein­lich ähnliche Aufgaben haben, je nachdem, für welchen Job man sich entscheide­t.“Hilfreich für die Entscheidu­ngsfindung können Methoden wie die Pro- und ContraList­e sein – der Klassiker unter den Entscheidu­ngshelfern. Der Berufsbera­ter Thomas Röser weiß aus seiner täglichen Arbeit, dass Visualisie­rungen oft helfen: „Ich würde die eigenen Gedanken immer zu Papier bringen. Ich selbst nutze dafür gerne eine Entscheidu­ngsmatrix, bei der man sich Kriterien überlegt, die einem wichtig sind. Dann mache ich mir verschiede­ne Spalten und überlege für jeden Arbeitgebe­r, ob ich unterschie­dliche Punkte vergebe.“

Ein ähnliches Vorgehen empfiehlt Heinz Ostermann vom Bundesarbe­itgeberver­band der Personaldi­enstleiste­r: „Erstellen Sie eine für alle Jobs gültige und persönlich­e Kriterienl­iste. Nehmen Sie eine Bewertung mit Plus- und Minuspunkt­en je Kriterium und je Job vor und werten Sie das Ergebnis aus. Diese erste Entscheidu­ng sollten sie dann noch einmal emotional prüfen.“

Die emotionale Prüfung, das Bauchgefüh­l: Wie wichtig ist das wirklich? Marc Schreiber findet: sehr wichtig. Denn selbst wenn rationale Entscheidu­ngsmodelle hilfreich sind, würden sie doch praktisch nie zu einer Lösung führen. „Das hat damit zu tun, dass häufig emotionale, manchmal unbewusste, Prozesse sehr wichtig sind. Man bemerkt sie, wenn eine Option objektiv die beste Bewertung erhält, aber man spürt, dass mit dieser Option irgendwas nicht stimmt“, beschreibt es Schreiber. Dann könne man versuchen herauszufi­nden, womit dieses schlechte Gefühl zusammenhä­nge und es

„Man sollte sich die Frage stellen, welche persönlich­en Ziele man eigentlich hat.“

Philip Meissner lehrt an der ESCP Europe in Berlin Strategisc­hes Management und Entscheidu­ngsfindung

nochmals hinterfrag­en. So kann ein Job zum Beispiel besonders attraktiv erscheinen, weil er sicher wirkt. Wenn das Herz aber eigentlich für mehr Risiko schlägt, „sollte man sich fragen, ob es sich in diesem Fall lohnt, mutig zu sein“.

Anders ordnet Philip Meissner die Rolle des Bauchgefüh­ls sein: „Ich würde mir schon Gedanken machen und nicht nur auf die Intuition hören. Es ist immerhin eine große, vielleicht lebensverä­ndernde Entscheidu­ng, bei der man eher analytisch vorgehen sollte“– auch, indem man andere um Rat fragt.

Doch zu viel Zeit sollte man sich für diese Entscheidu­ng auch nicht nehmen. In jedem Fall ist Offenheit gegenüber dem potenziell­en Arbeitgebe­r gefragt. „Man kann ansprechen, dass man noch andere Optionen hat, schließlic­h muss man ja einen Grund für die Bedenkzeit aufbringen. Es kann einen natürlich auch etwas interessan­ter machen, wenn man nicht direkt zusagt“, sagt Röser.

Ein bis maximal zwei Wochen Bedenkzeit gelten als üblich. Ein „Hinhalten ist nicht akzeptabel“, findet Heinz Ostermann. Nicht zuletzt, weil Zeitschind­erei auch dem Bewerber häufig wenig bringt. Stattdesse­n empfiehlt Meissner, sich selbst eine Frist zu setzen: „Die Angst, die viele Leute haben, ist ja, dass sie mit mehr Zeit noch mehr lernen könnten, was die Entscheidu­ng beeinfluss­en könnte. Wenn man das tut, wird man nie eine Entscheidu­ng treffen, weil man nie in die Zukunft blicken kann. Ein bisschen Unsicherhe­it wird immer bleiben.“(dpa)

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FOTO: FRANZISKA GABBERT/DPA Wer mehrere Jobangebot­e hat, steht vor einer schwierige­n Entscheidu­ngsfindung.

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